Der Totenkopfschwärmer,  ein heimlicher Honigschlecker 

| Natur und Wildbienen
EVA SPRECHER, BREITENBACH (eva.sprecher@gmx.ch)

Der Totenkopfschwärmer (Acherontia atropos) ist die grösste europäische Schwärmerart. Seine Leibspeise ist Honig. Obwohl er etwas unheimlich aussieht, ist er völlig harmlos. In der Schweiz ist er meist selten und wandert nur in sehr warmen Sommern aus dem Mittelmeerraum zu uns ein. 

Da kam ich ins Staunen: Letzten Spätsommer trat ich wie gewohnt in mein Bienenhaus ein. Noch bevor ich den Fensterladen öffnete, nahm ich im schummrigen Licht etwas grosses Schwarzes an einer Bienenkastentür wahr. Ich trat näher und das grosse schwarze Etwas entpuppte sich als prächtiger Totenkopfschwärmer, der bewegungslos an einem Bienenkasten sass. Wie war er wohl in das verschlossene Bienenhaus hereingekommen? Offenbar lockte ihn der Honigduft an und er konnte durch eine Ritze eindringen. Ich war fasziniert von der imposanten Grösse dieses Insekts, nahm den Schwärmer in die Hand und legte ihn in eine leere Dose mit einem kleinen Schälchen flüssigen Honig, damit ich ihn am nächsten Tag den Grosskindern zeigen konnte. Tags darauf bestaunten wir ihn alle, hörten ihn pfeifen und entliessen ihn schliesslich in die Freiheit. 

Ein gelb-schwarzer Riese 

Die Falter erreichen eine Flügelspannweite von bis zu 130 mm. Das Weibchen ist etwas grösser als das Männchen. Der pelzig beschuppte Körper erreicht eine Länge von bis zu 60 mm. Damit zählt der Totenkopfschwärmer bei uns zu den grössten vorkommenden Schmetterlingen. Das Männchen besitzt ein spitz zulaufendes Hinterleibsende, während dieses beim Weibchen stumpf abgerundet ist. 

Auf der Brust ist die charakteristische totenkopfähnliche Zeichnung zu erkennen, die der Art ihren deutschen Namen verlieh. Der Kopf und die Oberseite der Brust sind schwarzbraun, die Unterseite der Brust und des Hinterleibs gelblich. Die Vorderflügel sind braun bis dunkelgrau und mit rotbraunen Flecken versehen. Die Hinterflügel sind auf der Oberseite ockerfarben mit zwei auffälligen dunklen Querbinden. Die Färbung der Vorderflügel ermöglicht den Tieren eine perfekte Tarnung auf Baumrinde oder trockenem Laub am Boden, wo sie tagsüber mit dachförmig aneinandergelegten Flügeln ruhen. 

Ein Einwanderer aus dem Süden

Der Totenkopfschwärmer gehört zur Familie der Schwärmer (Sphingidae). Sein Hauptverbreitungsgebiet liegt in den Tropen Afrikas, doch er kommt auch im Süden Europas vor. Dauerhaft ist er an den südlichsten Küsten des Mittel­meers und auf den mediterranen 
Inseln anzutreffen. Als Wanderfalter begibt er sich jährlich nach Mittel- und Nordeuropa. Im Sommer kann er bis weit in den Norden vordringen. Raupen und Puppen findet man bei uns weit häufiger als Falter. 

Während ihrer Wanderflüge fliegen die Falter teils recht hoch. Sie wurden in den Alpen von Graubünden noch auf 3000 m ü. M. nachgewiesen. Die Raupen und Puppen sind wärmebedürftig und daher nur deutlich tiefer, etwa bis 700 m ü. M., zu finden. 

Die Tiere besiedeln offene, verbuschte Lebensräume, in denen Nachtschattengewächse wachsen, insbesondere auch Regionen, in denen Kartoffeln angebaut werden. Sie bevorzugen dabei trockene und sonnige Gegenden. 

Unerkannt im Bienenstock

Die Falter sind auf der Suche nach Nahrung oder Geschlechtspartnern ab der Dämmerung bis nach Mitternacht aktiv. Wichtigste Nahrungsquelle des Totenkopfschwärmers sind Bienenvölker, in welche die Falter eindringen, um Honig zu saugen. Der Schmetterling hat einen verhältnismässig kurzen, aber sehr breiten und stabilen Saugrüssel, der nicht wie bei anderen Schmetterlingen aus einer Röhre besteht, sondern bandförmig ist. 

Auffällig ist, dass die Arbeiterinnen der Bienen den Faltern gegenüber keine Aggressivität zeigen. Früher glaubte man, dass die Totenkopfschwärmer die Bienen durch ihre Pfeifgeräusche besänftigen, tatsächlich geschieht dies aber durch die Abgabe von chemischen Stoffen, die den fremden Geruch der Falter tarnen. Der Geruchsstoff der Falter besteht aus einer Mischung von vier Fettsäuren, die bei Honigbienen sehr ähnlich vorkommen. Weil die Falter den gleichen Geruch wie die Bienen haben, werden sie nicht als Eindringlinge erkannt. Sie werden höchstens durch die Wächterinnen am Eingang des Nestes angegriffen, vor diesen sind sie jedoch durch ihre dicke Körperhülle gut geschützt. Auch das Bienengift ertragen sie unbeschadet. Einmal in das Nest eingedrungen, verharren die Falter zunächst ruhig auf den Waben sitzend und werden von den Bienen ignoriert. Sie klettern unbehelligt mit schwirrenden Flügeln auf den Waben umher, stossen dabei die Bienen mit den Vorderbeinen beiseite und schütteln jene, die auf sie klettern, mit Flügelbewegungen ab. Schliesslich stechen sie ihren kräftigen Saugrüssel in gedeckelte und ungedeckelte Zellen und saugen in einer Viertelstunde ungefähr fünf von ihnen leer, um den Stock danach wieder zu verlassen. Es kommt auch vor, dass die Mittelwand der Zellen durchstochen wird und die Falter die auf der anderen Seite gelegene Zelle auch noch aussaugen. 

Ein pfeifender Nachtfalter

Einzigartig ist, dass der Falter durch einen Mechanismus in der Mundhöhle pfeifende Geräusche erzeugen kann. Auch seine Lebensweise, sich von Honig zu ernähren und dafür in Bienenstöcke einzudringen, ist sehr ungewöhnlich. Durch Kontraktion von zwei kräftigen, mit dem Schlund verbundenen Muskeln wird Luft durch den Saugrüssel eingesogen. Gleichzeitig wird die Speiseröhre verschlossen, sodass die Luft nur die Mundhöhle füllt. Ein Teil der Luft streicht dabei durch die Mundöffnung, die abwechselnd kurz geöffnet und geschlossen wird und so Schallwellen erzeugt. Durch das Erschlaffen der Muskeln wird die Luft wieder durch den Saugrüssel nach draussen befördert, wobei ein weiterer Laut entsteht. 

Die Falter pfeifen meist nur, wenn sie stark beunruhigt werden, etwa bei Berührung. Bei Männchen ist die Lauterzeugung auch in der Nähe eines Weibchens zu vernehmen. Bei Störung entfalten sie ihre Flügel und laufen unruhig umher und erzeugen pfeifende Geräusche. Sie fliegen jedoch nicht weg, sondern kriechen unter Pflanzenteile oder in Löcher und Spalten. Stark gestörte Männchen sondern einen Stoff ab, der nach modernden Pilzen riecht. 

Unheilbringend

Der Totenkopfschwärmer galt durch seine markante Zeichnung mit dem Totenkopf an der Brust als «Totenvogel». Auch sein Auftreten in Bienenstöcken und die nachtaktive Lebensweise verstärkten seinen Ruf als unheilbringend. Dort wo er sich in Häuser verirrte, befürchtete man Schlimmes. 

Der Gattungsname Acherontia ist von Acheron, einem der fünf Flüsse der Unterwelt in der griechischen Mythologie, abgeleitet. Auch der Artname hat Bezug zur griechischen Unterwelt. Der Erstbeschreiber, Carl von Linné, gab der Art den wissenschaftlichen Namen atropos nach einer griechischen Schicksalsgöttin. Als Zerstörerin war es die Aufgabe dieser Göttin, den Lebensfaden zu zerschneiden, der von ihren Schwestern gesponnen und bemessen worden war. Sie wählte die Art und Weise des Todes eines Menschen. 

Der Totenkopfschwärmer fand auch in modernen Büchern und Filmen Einzug. In Luigi Bertellis Kinderbuch «Ciondolino» (1895, deutsch: Max Butziwackel der Ameisenkaiser, 1920) hilft der in eine Ameise verwandelte Max einem Bienenschwarm dabei, den Angriff eines Totenkopfschwärmers auf das Bienennest abzuwehren. Im Roman «Dracula» (1897) des irischen Autors Bram Stoker sendet Graf Dracula den Falter zu Renfield, einem verwirrten Insassen einer Anstalt. Der Totenkopfschwärmer kommt auch im Film «Ein andalusischer Hund» (original «Un chien andalou») von Luis Buñuel und Salvador Dalí vor, der zum ersten Mal 1929 in Paris aufgeführt wurde. Auch im Buch «Das Schweigen der Lämmer» von Thomas Harris (USA 1989) und dessen Verfilmung (USA 1991) tritt der Totenkopfschwärmer in Erscheinung. Der Serienmörder Buffalo Bill platziert die Puppe des Falters im Mund seiner Opfer. Die Titelseite des Buchs und das Filmplakat zeigen den Totenkopfschwärmer. 

Lange Wanderflüge

Der Totenkopfschwärmer legt bei seinen Wanderungen jährlich etwa 4000 Kilometer zurück. Dies jedoch nur generationenübergreifend, denn keines der Einzeltiere legt die gesamte Migrationsstrecke zurück. Die langen Reisen zwischen Europa und Afrika können die Tiere nur in gemeinschaftlicher Zusammenarbeit vollbringen. 

Forschende konnten mit winzigen Funksendern die genaue nächtliche Route von einigen Exemplaren verfolgen, darunter Strecken bis zu 80 Kilometern. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass sich die Falter bei ihren Reisen nicht einfach vom Wind treiben lassen, sondern präzis durch verschiedene Windstärken und -richtungen navigieren, indem sie höher oder tiefer fliegen oder ihre Geschwindigkeit anpassen. Möglicherweise helfen interne Kompasse, um die globalen Flugwege festzulegen. 

Gefrässige Raupen

Die Raupen ernähren sich vor allem von Pflanzen aus der Familie der Nachtschattengewächse und insbesondere von der Kartoffel (Solanum tuberosum). Die Raupen fressen darüber hinaus an einer Vielzahl von Pflanzen aus etlichen Familien. Sie ernähren sich während ihrer gesamten Entwicklung meistens von der Nahrungspflanze, auf der sie geschlüpft sind. Nahrungspflanzenwechsel können bisweilen zum Tod der Raupen führen. 

Die Eier des Totenkopfschwärmers sind matt hellgrün oder blaugräulich und schwach oval. Ihre Hülle ist sehr elastisch, sodass die Eier nach einem Herabfallen vom Boden wieder hochfedern. Die Raupen sind nach dem Schlupf ungefähr 6 mm lang und hellgelb. Nach Beginn der Nahrungsaufnahme an den Blättern verfärbt sich ihr Körper rasch grün. Im zweiten Raupenstadium sind die Raupen bis 17 mm lang und hellgrün bis gelblich. Nach und nach zeigen sich die seitlichen Schrägstreifen am Körper. Ab dem vierten Raupenstadium sind die Tiere bereits 40 bis maximal 50  mm lang. Sie sind gelb oder grün, die Schrägstreifen am Hinterleib gelb und blau bis violettblau. Im fünften und letzten Raupenstadium erreichen sie eine Länge von bis zu 70 mm. 

Aus Europa sind aus jüngerer Zeit keine nennenswerten Schäden durch Raupenfrass dokumentiert. Historisch gab es jedoch immer wieder Jahre, in denen die Tiere so stark auftraten, dass sie Schäden, insbesondere an Kartoffelfeldern, verursachten, so etwa 1950 in grossen Teilen Mitteleuropas, wo die Raupen manchmal gezielt bekämpft wurden. 

In alter Literatur wird die Art «Stechapfelschwärmer» genannt oder die Raupen werden als «Jasmin-Raupen» bezeichnet. Dies geschah, da die heute wichtigste Nahrungspflanze, die Kartoffel, erst um 1565 erstmals von Amerika nach Europa importiert wurde und erst ab dem 18. Jahrhundert der Anbau in weiten Teilen Europas in grossem Stil erfolgte. Der Totenkopfschwärmer war aber davor schon in Europa heimisch, wenn auch nicht in der heute dank des Kartoffelanbaus herrschenden Häufigkeit. Die Raupen frassen in dieser Zeit an anderen Nachtschattengewächsen. 

Die Verpuppung erfolgt im Erdboden eingegraben in einer eiförmigen Höhle, die durch Bewegungen der Raupe auf der Innenseite relativ glattwandig wird. Die Puppe ist maximal 80 mm lang und mahagonifarben. Sie ist sehr aktiv und beweglich. Wenn sie gestört wird, vollführt sie schlagende und drehende Bewegungen. Die Überwinterung findet gewöhnlich im Puppenstadium statt, aber die Tiere überleben europäische Winter nur in Ausnahmefällen. Der Schlupf der Falter erfolgt normalerweise abends zwischen 18 und 21 Uhr.   

Literatur

  1. https://de.wikipedia.org/wiki/Totenkopfschwärmer 
  1. https://www.nationalgeographic.de/tiere/2022/08/totenkopfschwaermer-falter-mit-innerem-kompass 

Bildlegenden

Der Totenkopfschwärmer wurde früher wegen seiner auffallenden Zeichnung auf der Brust als unheilbringend angesehen. (FOTO: SIMON SPRECHER )
Auf der Hand kommt die imposante Grösse des Falters zur Geltung. (FOTO: SIMON SPRECHER )
Von vorne betrachtet fallen die grossen Fühler und die Rücken­zeichnung auf. (FOTO: SIMON SPRECHER )
Die Raupe ist bunt gefärbt mit seitlichen Schrägstreifen. Sie kann bis 70 mm lang werden. (FOTO: ESTHI SCHOLER)
Diese Puppe kam beim Umpflügen eines Kartoffelfelds zum Vorschein. (FOTO: SERAINA SPRECHER )
Der aus der Puppe geschlüpfte Schmetterling hing an der Terrarienwand, bis die Flügel voll entfaltet waren. (FOTO: SERAINA SPRECHER)

Dieser Artikel könnte
Ihnen auch noch gefallen

Wissenschaft und Praxis | 11/22
1 Minute
Noch immer beruht die imkerliche Betriebsweise grösstenteils auf einer dichten Gruppenaufstellung, einer Vergrösserung…