Honigbienendichte und Nachhaltigkeit

03/24 | Wissenschaft und Praxis
Francis Saucy, Präsident der Société romande d'Apiculture (SAR), (presidence@abeilles.ch)

Die Imkerei in den Schweizer Städten sei nicht nachhaltig und bedrohe die Wildbienen. Dies behauptet eine Studie von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). Die Analyse weist jedoch offensichtliche Fehler auf. Dieser Artikel erschien bereits in der Revue suisse d’apiculture vom Januar 2024.

Ich gebe hier die Anmerkungen und Kritik wieder, die ich kürzlich im Journal for Apicultural Research publiziert habe.1 Der Originalartikel von Joan Casanelles-Abella und Marco Moretti2, veröffentlicht in einer Zeitschrift, die der renommierten Nature angegliedert ist, erregte grosses Aufsehen. Er wurde zudem von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) durch eine sehr aktive Kommunikation in Form einer populärwissenschaftlichen Sekundärpublikation in den vier Landessprachen für die breite Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Dieses in einen Zusammenhang Stellen der Aussagen des Artikels ist problematisch, denn die Weiterverbreitung durch die WSL übertreibt und dramatisiert die Schlussfolgerungen, die man vernünftigerweise aus dem fraglichen Artikel ziehen kann. Die WSL behauptet nämlich, dass das, was die Studie als mögliche Konsequenzen andeutete, tatsächlich bewiesen sei: Dass die städtische Imkerei nicht nachhaltig ist, dass sie potenziell Wildbienen, Honigbienen selbst und die Biodiversität im Allgemeinen bedroht. Dies wurde in journalistischen Begriffen mit «Zu viele Bienen töten die Biene» übersetzt, wie im Journal du Jura vom 19. Februar 2022 getitelt wurde.

Leider weist die Originalstudie bei näherer Betrachtung offensichtliche Fehler und Schwächen auf. Darüber hinaus halten ihre Schlussfolgerungen einer eingehenden Analyse nicht stand.

Was haben die Forscher getan?

Die Autoren sammelten zunächst bei den zuständigen kantonalen Behörden, die Bienenvölker und Bienenhäuser erfassen (meistens bei den Veterinärämtern), Daten zu den Honigbienenvölkern in der Schweiz. Es ist seit einigen Jahren für die Imker/-innen des Landes Pflicht, diese Daten zu melden. Auf dieser Grundlage verglichen sie die Entwicklung des Bienenbestands in 14 Schweizer Städten zwischen den Jahren 2012 und 2018.

Bisher gibt es nichts zu beanstanden. Es ist sogar lobenswert, dass diese Informationen, die nicht öffentlich zugänglich sind, den Forschern zur Verfügung gestellt werden. Denn bekanntlich gibt es in der Schweiz seit Ende der 1990er-Jahre keine offiziellen Statistiken über Honigbienen mehr.

In einem zweiten Schritt versuchten die Autoren dann, die «Nachhaltigkeit» der Honig­bienenvölkerdichte in den betreffenden Städten zu modellieren. Um eine Schätzung der den Bienen zur Verfügung stehenden Ressourcen zu erhalten, unterteilten sie die Städte in Raster von einem Quadratkilometer grossen Zellen. Im Anschluss zählten sie anhand von Satellitenfotos den Anteil der Grünflächen in jeder Zelle und modellierten die «Nachhaltigkeit» der Bienenvölkerdichte pro Zelle. Schliesslich erstellten sie für jede dieser Zellen eine Nachhaltigkeitsdiagnose. Ihre Ergebnisse sind in Form von Diagrammen und Karten zusammengefasst. Die Zellen, deren Dichte «nicht nachhaltig» ist, sind rot markiert, während die anderen grün erscheinen. Die Karten sind spektakulär und Grün ist nicht die vorherrschende Farbe in den 14  Schweizer Städten (siehe Abbildung rechts für ein Beispiel).

Die Forscher zeigen, dass die Zahl der Honigbienenvölker in städtischen Gebieten im betrachteten Zeitraum (2012–2018) stark zugenommen hat. Auf der Grundlage ihres Modellierungsansatzes kommen sie zum Schluss, dass die städtische Bienenzucht nicht nachhaltig ist, dass die Honigbienendichte dort zu hoch und das Überleben der Wildbienen gefährdet ist. Ihr Fazit lautet: Die Honigbienendichte in Städten soll von den Behörden reguliert werden.

Grafik aus dem Artikel von Casanelles-Abella und Moretti2 (Abb. 2 e), das die Ergebnisse der Nachhaltigkeitssimulation für die Stadt Zürich illustriert. Rot markiert sind die 1 km2-Zellen, deren Honigbienendichte bei einem Schwellenwert von 7,5 Völkern pro km2 als nicht nachhaltig eingeschätzt wird.
Grafik aus dem Artikel von Casanelles-Abella und Moretti2 (Abb. 2 e), das die Ergebnisse der Nachhaltigkeitssimulation für die Stadt Zürich illustriert. Rot markiert sind die 1 km2-Zellen, deren Honigbienendichte bei einem Schwellenwert von 7,5 Völkern pro km2 als nicht nachhaltig eingeschätzt wird.

Die Daten sagen etwas anderes

Unterstützen die Daten die Schlussfolgerungen der Autoren? Wie in der Wissenschaft heutzutage üblich, stellen die Autoren die Roh- und Detaildaten sowie die Programme, die sie zur Analyse der Daten verwendet haben, zur Verfügung.

Erste Überraschung: Die Daten lassen die Schlüsselzahl einer Verdreifachung der Anzahl der Bienenvölker in den 14 betrachteten Städten während des Analysezeitraums nicht wiederfinden. Laut der Originalversion des Artikels wäre die Zahl der Bienenvölker in den 14 untersuchten Städten zwischen 2012 und 2018 von 3139 auf 9370 und die Dichte von 6,48 Bienenvölkern auf 10,14 pro km2 gestiegen. Die Analyse der von ihnen bereitgestellten Daten zeigt jedoch, dass die genaue Zahl für 2018 bei 6370 Bienenvölkern (statt 9370) liegt. Das entspricht einer Verdoppelung (und nicht einer Erhöhung um den Faktor drei), was schliesslich zu einer Dichte von 8,2 Bienenvölkern pro km2 führt. Nach meiner Intervention bei der Redaktion wurde dieser Fehler am 9. Juni 2022 im Artikel sowie in der Sekundärmitteilung korrigiert. Die Autoren plädieren für einen «Rechtschreibfehler», was jedoch wenig überzeugend ist, da dies nicht zu einer Korrektur der Dichte hätte führen dürfen.

Das von den Autoren bereitgestellte Programm ist auch nicht in der Lage, die Ergebnisse einer zweiten Tabelle zu reproduzieren. In ihrer Korrektur vom 9. Juni 2022 antworten die Autoren, dass ihr Programm fehlerhaft sei. Eine konsequente Korrektur hätte bedeutet, ein korrigiertes Programm oder eine überarbeitete Tabelle zu erstellen.

Fragliche Grundlagen

Auch bei der Modellierung sind Fehler offensichtlich. Dabei handelt es sich um wesentlich schwerwiegendere Probleme, die sowohl konzeptioneller als auch technischer Natur sind, wie zum Beispiel Verstösse gegen die internen Beschränkungen des Modells. Ein besonders auffälliger Punkt ist, dass nach Ansicht der Autoren der Schwellenwert für die Nachhaltigkeit bei 7,5 Bienenvölkern pro km2 liegen soll. Dieser Schwellenwert ist willkürlich und wurde nicht auf wissenschaftlicher Grundlage festgelegt. Er basiert auf spekulativen Berechnungen aus einem «Meinungsartikel», der seinerseits auf zwei weitere Artikel verweist, die in Zeitschriften mit grossem Publikum, aber ohne wissenschaftliches Gutachtergremium veröffentlicht wurden. Darüber hinaus weicht der korrigierte Wert für die Bienenvölkerdichte in diesen 14 Schweizer Städten – 8,1 Bienenvölker für das Jahr 2018 – nicht wesentlich von diesem Schwellenwert von 7,5 ab. Folglich basiert das von den Autoren verwendete Nachhaltigkeitskriterium nicht auf einer soliden Grundlage.

Zusammenfassend konnte ich also aufzeigen, dass einige Ergebnisse nicht reproduziert werden können, dass einige Einschränkungen des Modells nicht eingehalten werden, dass die konzeptionelle Grundlage der Studie schwach und fragwürdig ist und dass die starken Schlussfolgerungen der Autoren nicht durch die Ergebnisse ihrer Studie gestützt werden.

Urbane Bienenhaltung in der Schweiz

Wie sieht es nun mit der Situation der urbanen Bienenhaltung in der Schweiz aus? Wie ich bereits eingangs erwähnt habe, dokumentieren die Daten dieser Studie die Entwicklung der urbanen Bienenhaltung, die sich zwischen 2012 und 2018 verdoppelt hat. Diese Ergebnisse sind wichtig und nützlich und verdienen Anerkennung.

In ihrem Artikel stellen die Autoren auch die Frage (ohne eine Antwort zu geben), warum Imker/-innen in die Städte abwandern. Die Antwort ist einfach: Weil die Ressourcen an Blüten (Pollen und Nektar) auf dem Land knapper werden und die intensive Landwirtschaft den Honigbienen nicht mehr die Lebensgrundlage bietet, die sie zum Überleben brauchen. Es wird auch oft angenommen, dass es Honigbienen in Städten besser geht als in Gebieten mit intensiver Landwirtschaft. Dank der Vielfalt an Blumen und Bäumen in den Parks finden sie dort während der gesamten Sommersaison ausreichend Blumen, die sie mit Nektar und Pollen versorgen. Der Jahresbedarf eines Honigbienenvolkes wird auf 25–50 kg Pollen, 50–100 kg Nektar und 50–100 l Wasser geschätzt. Darüber hinaus werden in Städten weniger Pestizide eingesetzt als auf Ackerflächen. Im Vergleich dazu sind die Bedingungen für unsere Bienen auf dem Land ungünstiger, mit Trachtlücken ab dem Ende der Blütezeit der Obstbäume und Rapsfelder, also ab Juni.

Nachhaltige Honigbienendichte

Was ist eine «nachhaltige» Dichte für Honigbienenvölker? Diese Frage ist nicht trivial. Man geht davon aus, dass es in der Schweiz etwa 160 000–200 000 Honigbienenvölker gibt, was bei einer Fläche von 42 000 km2 einer Dichte von etwa 4 bis 5 Völkern pro km2 entspricht. Wenn man bedenkt, dass die Hälfte des Landes für Bienen unwirtlich ist und sich die meisten Bienenvölker im Mittelland und in den Voralpen befinden, kann man davon ausgehen, dass die Dichte in den günstigsten Regionen bei 8 bis 10 Bienenvölkern pro km2 liegt. Ist das zu viel? Das kann niemand wirklich sagen. Dies ist eine Frage, die eindeutig weitere und gründliche Untersuchungen verdient.

Auswirkungen auf Wildbienen

Welche Auswirkungen die Bienenhaltung auf wild lebende Bienenarten hat und ob sie für die Natur angemessen ist, sind legitime Fragen, die gestellt werden müssen. Für Imker/-innen geht es keineswegs darum, ihnen auszuweichen. Die Imkerschaft ist bereit, ihren Teil der Verantwortung zu übernehmen, wenn wirklich nachgewiesen werden kann, dass die Honigbienendichte negative Auswirkungen auf wild lebende Arten hat. Dafür brauchen wir jedoch solide Studien, welche die «carrying capacity» oder «Tragfähigkeit» der Lebensräume, also die maximale Zahl von Bienenvölkern, die für unbegrenzte Zeit dort existieren können, und die Bedürfnisse der verschiedenen Bienenarten berücksichtigen. Die Arbeit von Joan Casanelles-Abella und Marco Moretti2 erfüllt keine dieser Anforderungen.

Dank

Mein grosser Dank gilt BienenSchweiz und der SAR: Ihre finanzielle Unterstützung hat die Open-Access-Veröffentlichung dieses Artikels ermöglicht.

Francis Saucy, Präsident der SAR.
Francis Saucy, Präsident der SAR.

Literatur

  1. Saucy, F. (2023) Urban beekeeping and sustainability, Journal of Apicultural Research (https://doi.org/10.1080/00218839.2023.2190068).
  2. Casanellas-Abella, J.; Moretti, M. (2022) Challenging the sustainability of urban beekeeping using evidence from Swiss cities. npj Urban Sustainability, 2(3): (https://doi.org/10.1038/s42949-022-00059-9).

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