Bis zu 40 mg Blütenpollen, und damit die Hälfte ihres Leergewichtes, bringt eine Honigbiene von einem Sammelflug nach Hause. Etwa 30 kg Blütenpollen sammelt ein gutes Wirtschaftsvolk jährlich. Und zieht damit über eine Viertel-Million Bienen auf. Aber kommt im Volk auch immer genug an?
Unter und neben unseren Beuten findet sich extrem viel Pollen (Abb. 1). Wir fragen uns, was den Bienen fehlt. Was kann ich tun?» Diese Frage stellte mir kürzlich Meike.
Zur Salweidenblüte – Mäusegitter ab
Am Mäusegitter tut sich manche Pollensammlerin schwer (Abb. 2). Zwar erlernen die Bienen nach einigen Fehlversuchen die erfolgreiche Passage mit den Pollenhöschen. Doch herrscht in gesunden Völkern ja ein grosser Bienendurchsatz: Bereits nach einer Woche im «Aussendienst» versterben die meisten Flugbienen und werden durch neue ersetzt. Diese verlieren dann wieder einige Male ihren Pollen am Gitter. Ich entferne das Gitter daher, sobald die Salweidenblüte beginnt. Wird es danach noch mal sehr kühl, können durchaus wieder Mäuse einziehen. Doch dem Volk gross schaden können sie dann nicht mehr. Die Bienen sind schon zu aktiv und gestalten die Wohnsituation für die pelzigen Untermieter zu unangenehm.
Bienenintelligenz kontra Pollenfalle
Wie am Mäusegitter, kann man auch beim Einsatz einer Pollenfalle vor dem Flugloch beobachten, wie erstaunlich flexibel und lernfähig die Honigbienen sind. Pollenfallen setzt man in der Regel nicht dauerhaft vor demselben Volk ein, sondern wechselt die Völker. Der Grund dafür ist, dass die meisten Pollenfallen nur wenige Tage richtig «fängig» sind. Unsere Studenten der Verhaltensbiologie an der Ruhr-
Universität Bochum haben erforscht, warum das so ist:
Bei Kontrollvölkern ohne Pollenfalle beschäftigen sich nur etwa 10 % der Flugbienen mit dem Pollensammeln. Dies scheint den Bedarf zu decken. Geht dauerhaft Pollen am Gitter verloren, erhöht sich dieser Anteil auf über 30 % aller Sammlerinnen (siehe Diagramm oben: Abb. 3). So werden Verluste erfolgreich kompensiert.
Bereits nach drei Tagen mit der Pollenfalle haben die meisten Flugbienen gelernt, ihre Beine so geschickt durch die Löcher der Pollenfalle zu ziehen, dass kaum noch ein Höschen abfällt. Nur noch die täglich neu hinzukommenden Flugbienen verlieren ihre Ladung. Das sind im Mittel nur 10–20 % aller Pollensammlerinnen (Diagramm links Mitte: Abb. 4). Entfernt man die Falle für zwei Wochen, hat man danach für einige Tage wieder viel besseren Ertrag.
Die Mär vom «Pollenmangel»
Honigbienenvölker sind also auch in Bezug auf die Sicherstellung ihrer Pollenversorgung hochflexible, intelligent agierende Sozialstaaten, die sich mit bisher kaum verstandenen Absprachen und Mechanismen in fast jeder Umgebung erfolgreich behaupten. Als unempfindliche Ubiquisten sind sie ein perfekter Partner für die Landwirtschaft und Imker/-innen. Letztere machen sich oft viel zu viele Sorgen. Tatsächlich kenne ich keine seriöse Studie, die den vielbeklagten und gebetsmühlenartig wiederholten «Pollenmangel» deutscher Bienenvölker in «ausgeräumten Kulturlandschaften» bestätigt. Vielmehr zeigen die Fakten:
Für die Aufzucht einer Biene wird der Inhalt etwa einer Pollenzelle verbraucht. So hat während der Hauptbrutzeit von April bis August eingelagerter Pollen eine Verweildauer von nur etwa einer Woche. Während der Brutsaison wird der Pollenbedarf durch mehr oder weniger kontinuierlichen Eintrag gedeckt. Auch nach der Rapsblüte gibt es keinen generellen Pollenmangel (Diagramm links unten: Abb. 5).
Hast Du Völker, in denen Du nie auch nur eine einzige Pollenzelle siehst? Mach Dir keine Sorgen! Es gibt offenbar verschiedene Taktiken: Manche Völker horten riesige Pollenbretter, andere leben «von der Hand in den Mund», decken den für die Brutaufzucht notwendigen Bedarf also durch kontinuierlichen Eintrag auch ohne grosse Vorratshaltung. Bienengenetiker haben sogar die Stellen im Erbgut identifiziert, die diese sehr unterschiedlichen Strategien von «high-» beziehungsweise «low-pollen-hoarding» codieren.
Ermittelt man das Wohlergehen von Bienenvölkern durch vergleichende Populationsschätzungen, zeigt sich, dass die Menge der aufgezogenen Brut und die Anzahl und Lebensdauer der daraus entstehenden Bienen sich in Gegenden mit offenbar reichlichem Pollenangebot nicht unterscheidet von vermeintlich «ausgeräumten Kulturlandschaften». Wenn viel Brut aufgezogen wird, kann ja kein Pollenmangel herrschen! Auch wenn man den Pollen als Imker/-in weder draussen auf dem Feld, noch drinnen im Volk sieht! Ebenso gilt: «Einseitige» Ernährung mit Pollen aus nur einer einzigen Massentracht zum Beispiel Raps oder Mais zeigte nur im Labor negative Effekte auf künstlich aufgezogene Bienen. Freilandvölker jedoch, die nachweislich fast ausschliesslich eine Sorte Pollen nutzten, zeigten im Vergleich zu abwechslungsreich versorgten Kontrollvölkern in Brut- oder Adultbienenqualität keinen Unterschied. Das heisst, dass das Bienenvolk für die Beurteilung des Pollenangebots ein zuverlässiger Indikator ist. Bienen können die «Qualität» der umliegenden Flora beurteilen, die Imkerin oder der Imker dagegen nicht! Für obsolet halte ich daher auch den beliebten Ratschlag vieler Berater zur Standortwahl: «Wählen Sie einen Standort mit ganzjährig vielfältiger Blütenversorgung.»
Übrigens: Ist das Frühjahr, wie im Jahr 2021, aussergewöhnlich unwirtlich, kommt es durchaus vor, dass Bienen angelegte jüngste Brut wieder auffressen, weil sie bei schlechtem Wetter nicht ausreichend Pollen einholen können. Doch auch dieser Brutkannibalismus kann die Entwicklung gesunder Völker nur ganz kurzzeitig bremsen.
Haarausfall bei Bienen?
Für den von Meike beklagten Pollenverlust könnte es übrigens noch eine weitere spannende Ursache geben: Bei einigen Bienenvölkern fehlt den Sammlerinnen am hoch spezialisierten Pollensammelapparat des Hinterbeins eine einsame Borste (siehe dazu Abb. 6a und b).
Bild- und Grafiklegenden:
FOTOS UND GRAFIKEN: PIA AUMEIER