Ein Stück Himmel am Boden – Blaustern, Gelbstern, Milchstern

04/23 | Natur und Wildbienen
Daniel Ballmer, Verein Floretia (daniel@floretia.ch)

Zwiebelpflanzen blühen gerade an jeder Ecke – zu Recht, sie sind wunderschön und vielseitig einsetzbar. Aber ihre Vielfalt geht weit über die beliebten Tulpen, Narzissen und Schneeglöckchen hinaus. Ein kleines Plädoyer für eine Gruppe unterbewerteter Zwiebelpflanzen, die etwas mehr Aufmerksamkeit verdienen.

Pflanzen, die die meiste Zeit unter der Erde verbringen und nur für eine kurze Saison ausschlagen, nennt man Geophyten (von griechisch geo-, «Erd-» und phyton, «Pflanze»). Die einen überdauern als Zwiebel, andere als Knolle, wieder andere als Rhizom – aber der wahre Zauber der Geophyten geschieht oberirdisch. Plötzlich sind sie da, ohne Vorwarnung, oft zu Hunderten unter demselben Baum. Ich stehe oft in einem Wald oder einer alten Parkanlage und kann mir kaum erklären, warum sich die Buschwindröschen (Anemone nemorosa), die Zahnwurze (Dentaria) oder die Schneeglöckchen (Galanthus) genau diese Gruppe von Bäumen ausgesucht haben und keine andere. Von einigen ist bekannt, dass sie an die Mykorrhiza angeschlossen sind, das gigantische Pilzgeflecht, das die Baumwurzeln unterirdisch versorgt und das meist mehrere Wurzelstöcke miteinander vernetzt. Aber was auch immer dahintersteckt – die bunten Flecken, die die Geophyten bilden, machen die Frühlingslandschaft abwechslungsreich. Sie verleihen ihr für kurze Zeit eine zusätzliche Struktur. Und das nicht nur für uns, sondern auch für die Honigbiene und viele andere Bestäuber, die zu dieser Zeit unterwegs sind.

Geophyten benötigen nur für kurze Zeit viel Licht, Wasser und Nährstoffe; den Rest des Jahres läuft ihr Organismus auf Sparflamme. So können sie sehr nahe an anderen Pflanzen wachsen, ohne ihnen in die Quere zu kommen. Viele wachsen unter Bäumen und Sträuchern, die erst nach ihrem Verblühen ausschlagen. Einige haben sich an menschgemachte Lebensräume angepasst und blühen in Äckern, wenn alle anderen Pflanzen noch kleine Setzlinge sind – oder in Rasen, wenn der Rasenmäher noch im Schuppen steht. Dass Geophyten nicht viel Platz benötigen und da blühen, wo sonst gerade nichts blüht, macht sie zu überaus beliebten Gartenpflanzen. Oder zumindest einige von ihnen wie Schneeglöckchen, Krokusse (Crocus), Tulpen (Tulipa), Hyazinthen (Hyacinthus), Narzissen (Narcissus), Pfingstrosen (Paeonia officinalis) und Christrosen (Helleborus niger) sind allgegenwärtig, andere sieht man deutlich seltener. Für die Bienenfauna ist das eine durchzogene Auswahl. Krokusse und Christ-, beziehungsweise Lenzrosen kommen vor allem bei Hummeln und Honigbienen gut an. Aber Hyazinthen, Narzissen und Tulpen haben recht tiefe Nektar- und Pollenwerte, Schneeglöckchen werden wegen ihrer frühen und überhängenden Blüten eher selten angeflogen, Pfingstrosen-Züchtungen mit gefüllten Blüten sind für Bestäuber je nach Sorte schwer zugänglich bis wertlos. Höchste Zeit also, den Garten mit ein paar zusätzlichen, bienenfreundlicheren Geophyten zu bereichern und einen kleinen Sternenhimmel anzulegen.

Hier ist der Zauber der Geophyten unübersehbar: unzählige Krokusse, Schneeglöckchen und Märzenbecher in einem Garten in Aarau.

Sterne für die Bienen

Zunächst einmal wäre hier der Zweiblättrige Blaustern (Scilla bifolia) zu nennen. Er streckt im April, an warmen Orten auch schon im März, ein halbes Dutzend leuchtend blaue Blüten in die kalte Frühlingsluft. Mit Pollenwert 3, Nektarwert 2 und nach oben gerichteten Blüten ist er eine beliebte Bienenweide, bei Honigbienen genauso wie bei unspezialisierten frühen Wildbienen. Vor allem Hummelköniginnen (Bombus) sowie frühe Mauer- (Osmia) und Sandbienen (Andrena) zählen zu seinen Besuchern. Der Zweiblättrige Blaustern wächst in lichten Laubwäldern und ist lückenhaft über die ganze Schweiz hinweg verbreitet; nur in den höheren Lagen, im Nordosten und in den Alpentälern fehlt er fast vollständig. Ebenso in den Gärten, wo mehrere andere Arten der Gattung deutlich häufiger angepflanzt werden. Für die Bienen ist das nicht optimal. Die Blüten des Sibirischen Blausterns (Scilla siberica) sind spärlicher und für Honigbienen schlechter erreichbar, und die Sternhyazinthen (Scilla sect. Chionodoxa) liefern deutlich weniger Nektar und Pollen. Bienen fliegen zwar alle Arten der Gattung an, aber vom Zweiblättrigen Blaustern profitieren sie sicherlich am meisten.

Anschliessend an den Blaustern, von April bis in den Mai hinein, blüht der Doldige Milchstern (Ornithogalum umbellatum). Von allen einheimischen «Sternen» ist er die häufigste Art und ihn erhält man auch regelmässig in Gärtnereien. Der Milchstern wächst gerne in nährstoffreichen Wiesen und Böschungen oder im Wurzelbereich alter Bäume. Er bildet oft grosse Bestände in alten Stadtparks und Alleen, besonders unter alten Eichen, Obstbäumen und anderen Gehölzen, deren Blätter erst spät austreiben. Auch der Milchstern wird von Honig-, Schmal- und Sandbienen, Hummeln, Wollschwebern und anderen unspezialisierten Bestäubern besucht. Mit sehr viel Glück kann man an ihm zudem eine der seltensten Wildbienen der Schweiz beobachten. Die Milchstern-Sandbiene (Andrena saxonica) sammelt ihren Pollen ausschliesslich an Milchsternen und wurde in der Schweiz erst wenige Male gefunden, im Puschlav und Bergell. Da sie unauffällig, zerstreut verbreitet und schwer zu bestimmen ist, ist aber nicht auszuschliessen, dass sie auch an anderen Orten vorkommt.

Eine kleine Blütendolde des Goldigen Milchsterns, Ornithogalum umbellatum (Foto: Daniel Ballmer).
Reich blühende Zweiblättrige Blausterne, Scilla bifolia (Foto: Matthieu Gauvain, Wikimedia Commons).
Eine Honigbiene sammelt Pollen am Wald-Gelbstern, Gagea lutea (Foto: Salicyna, Wikimedia Commons).

Der Wald-Gelbstern (Gagea lutea) wächst in ähnlichen Lebensräumen wie Blau- und Milchstern und blüht zeitlich zwischen den beiden. Er bevorzugt etwas höhere und feuchtere Lagen; sein Verbreitungsschwerpunkt liegt in den Nordalpen, wo die anderen beiden Sterne kaum vorkommen. Zur Waldgrenze hin wird der Wald-Gelbstern in den Alpen vom Röhrigen Gelbstern (Gagea fragifera) abgelöst, der vor allem in Kuhweiden wächst und eine schöne Bereicherung für Gärten in Hochlagen ist. In Gärten werden Gelbsterne leider so selten angepflanzt, dass ich in der Literatur keinerlei Angaben über ihren Nektar- und Pollenwert finden konnte. Paul Westrich listet sie aber als Pollenquellen für Wildbienen. Es würde sich sicher lohnen, diese Gattung und ihre Bestäuber etwas näher zu erforschen. Ich habe hier den Gelbstern schon einmal miteinbezogen, weil er sich nicht nur sehr gut mit Blau- und Milchsternen kombinieren lässt. Der Wald-Gelbstern ist auch eine der wenigen Pflanzen, mit denen sich hartnäckige Bärlauch-Bestände (Allium ursinum) auflockern lassen.

Bereicherung für den Garten

Blau-, Gelb- und Milchstern mögen im Garten Orte, an denen es nicht allzu trocken ist. Sie bevorzugen nährstoffreiche, neutrale bis basische Böden. In Magerbeeten sind sie fehl am Platz, ebenso in sauren Torfbeeten und in Gärten auf Granit- oder Gneisfelsen. Wenn Sie sich unsicher sind, ob Ihr Boden nicht doch etwas zu sauer ist, vergraben Sie einfach ein paar zerdrückte Eierschalen, bevor Sie die Sterne einpflanzen; so wird der Boden basischer. Kombiniert miteinander oder mit anderen Geophyten können Blau-, Gelb- und Milchstern in den Wurzelbereich von Laubbäumen und -sträuchern, zwischen Weinreben, in Blumenwiesen oder in Beete gepflanzt werden. Wo es ihnen gefällt, breiten sie sich gerne etwas aus, aber meist nicht allzu weit. Und auch nicht so dicht, dass keine anderen Pflanzen dazwischen wachsen können, wie es bei Bärlauch oder Buschwindröschen der Fall ist. Die Verbreiter der Sterne sind Ameisen, die die Samen verschleppen, und grabende Kleinsäuger wie Wühlmäuse und Maulwürfe, die die Zwiebeln versetzen.

Obwohl man Gelbsterne und den Zweiblättrigen Blaustern nicht in jeder beliebigen Gärtnerei findet, lohnt sich die Anlage eines kleinen Sternenhimmels im Garten auf jeden Fall – für die Bienen genauso wie fürs Auge. Die drei Sterne sind äusserst pflegeleicht und bereichern auch Stellen, die ohne sie kahl oder zumindest arm an Blüten bleiben würden. Ganz allgemein eignen sich Geophyten hervorragend dazu, den Blütenreichtum im Garten ohne grossen Aufwand zu steigern.

Die Frühlings-Platterbse (Lathyrus vernus) wächst sehr gerne im Wurzelbereich von Laubbäumen und erfreut sich grösster Beliebtheit bei der Frühlings-Pelzbiene (Anthophora plumipes) (Foto: Daniel Ballmer).
Der Hohle Lerchensporn (Corydalis cava) lässt sich gut mit den bunten Sternen kombinieren. Seine tiefen Blütenkelche sind nur für langrüsslige Bienen wie Hummeln, Pelz- und Honigbienen zugänglich (Foto: Daniel Ballmer).

Begleitpflanzen

Hier sind einige andere bienenfreundliche Geophyten, die sich gut mit den Sternen kombinieren lassen:

  • Huflattich (Tussilago farfara) und Weisse Pestwurz (Petasites albus), gute Nektar- und Pollenquellen für verschiedenste Bestäuber, unter anderem Honig-, Sand-, Schmal- und Mauerbienen.
  • Frühlings-Platterbse (Lathyrus vernus), Magnet für Hummeln und Frühlings-Pelzbienen (Anthophora plumipes), am Ende ihrer Saison auch eine Pollenquelle für die spezialisierten Mai-Langhornbienen (Eucera nigrescens) und Platterbsen-Sandbienen (Andrena lathyri).
  • Frühlings-Krokusse (Crocus albiflorus, C. vernus), ergiebige Pollenquellen für Hummeln und Honigbienen.
  • Lungenkräuter (Pulmonaria obscura, P. officinalis), Nektar- und Pollenquellen für Hummeln, Pelz-, Mauer- (Bombus, Anthophora und Osmia) und Honigbienen.
  • Hohler Lerchensporn (Corydalis cava), Nektar- und Pollenquelle für Hummeln, Pelz- und Mauerbienen.
  • Gemeine Traubenhyazinthe (Muscari racemosum), Nektar- und Pollenquelle für Honig- und Mauerbienen, auch beliebt bei Wollschwebern.
  • Winterling (Eranthis hyemalis), besonders bei Honigbienen beliebt.

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