Dieser Text hier ist der erste, den ich auf Anregung eines Lesers hin schreibe; vielen Dank an dieser Stelle an Franz Gasser aus Zürich. In derselben Woche, in der mich sein leidenschaftliches Plädoyer für den Faulbaum (Frangula alnus) erreichte, durfte ich in einem schattigen Naturgarten ein Prachtexemplar dieser Art bestaunen, und ich war Feuer und Flamme.
Ich gebe zu, dass ich den Faulbaum immer wieder vergesse. Das ist auch nicht schwer – er fällt optisch nicht auf, er kommt fast nirgends so richtig zahlreich vor, und in Hecken steht er oft versteckt zwischen dominanteren Büschen. Auf den ersten Blick verwechselt man ihn gerne mit einer kleinen Traubenkirsche (Prunus padus) oder einem Pfaffenhütchen (Euonymus europaeus). Aber während die Blüte dieser und anderer Sträucher ein kurzes Feuerwerk ist, blüht der Faulbaum nach der Hauptblüte im Mai/Juni bis in den September hinein. Er ist der einzige Langblüher unter den heimischen Sträuchern und, vor dem Efeu (Hedera helix), das zweitletzte blühende Gehölz im Jahr.
Entsprechend beliebt ist er bei den Bestäubern in dieser Saison. Für Honigbienen und Hummeln hat er mit Pollenwert 3 und Nektarwert 3 viel zu bieten und wird auch gut frequentiert. Aber auch diverse Wildbienen, Wespen und Käfer besuchen seine Blüten gerne. In Pollenanalysen bei Wildbienen taucht der Faulbaum allerdings überraschend selten auf. Sicher nachgewiesen ist sein Pollen laut dem deutschen Wildbienenpapst Paul Westrich nur bei drei unspezialisierten Arten, zwei Sandbienen (Andrena) und einer Schmalbiene (Lasioglossum). Liegt es daran, dass andere Wildbienen tatsächlich nur Nektar an ihm sammeln? Oder einfach daran, dass der Strauch deutlich seltener ist als andere? Hier wäre zusätzliche Forschung sinnvoll. Sicher ist, dass der Faulbaum eine beliebte Nektarquelle darstellt – nicht nur für Wildbienen, sondern auch für diverse Wespen. Unter ihnen fallen die Goldwespen (Chrysididae) mit ihren leuchtenden Farben am stärksten auf. Goldwespen sind Anzeiger einer gesunden Bestäuberfauna. Je nach Art legen die fliegenden Juwelen ihre Eier in die Nester von Wildbienen oder anderen Wespenarten. Sie nutzen den Faulbaum nicht nur als Nektarquelle, sondern auch zum Ausspähen ihrer Wirte, denen sie unauffällig zum Nest folgen. Andere Wespengruppen wie Darwin-Wespen (Ichneumonidae), Erz- (Chalcidoidea) und Faltenwespen (Vespidae) nutzen den Faulbaum nur als Tankstelle und jagen woanders. Viele von ihnen betätigen sich gerne als Nützlinge in nahen Zier- und Gemüsebeeten, solange diese nicht mit Pestiziden besprüht werden.
Auch nach der Blüte gut besucht
Die bestäubten Blüten reifen zu Beeren heran, deren Farbe sich von gelbgrün über rot zu schwarz verändert. Die reifen Beeren stecken voller Nährstoffe und stehen bei Vögeln hoch im Kurs. Grössere Vögel wie Amsel (Turdus merula), Mistel- und Wacholderdrossel (T. viscivorus, T. pilaris), Fasan (Phasianus colchicus) und Haselhuhn (Bonasa bonasia) schlucken die Beeren ganz herunter. Aber auch kleinere Vögel wie Rotkehlchen (Erithacus rubecula) und diverse Grasmücken (Sylvia) besuchen den Faulbaum regelmässig. Bei zwei Grasmückenarten, deren Speiseröhre zu eng ist für Faulbaumbeeren, beobachtete der Schweizer Zoologe Klaus Robin vor einigen Jahren ein interessantes Verhalten: Sie spiessen reife Beeren auf dem Schnabel auf und schlagen sie systematisch gegen einen Zweig, bis sie weich genug sind und sich herunterschlucken lassen. Für uns Menschen sind die Beeren des Faulbaums giftig und führen zu Durchfall und Erbrechen, aber praktisch nie zu schweren Vergiftungen. Für mich ist der Faulbaum deshalb auch in Gärten vertretbar, in denen kleine Kinder spielen. Sträucher mit leicht giftigen Beeren sind ein gutes Übungsgelände, um Kindern den Unterschied zwischen essbaren und ungeniessbaren Beeren beizubringen. Wer hier mal falsch tippt, spürt die Konsequenzen, aber trägt keinen grossen Schaden davon.
Der mit Abstand bekannteste Freund des Faulbaums ist der Zitronenfalter (Gonepteryx rhamni), der seine Eier ausschliesslich an Faulbaum oder seinen nahen Verwandten, den Kreuzdornen (Rhamnus), ablegt. Diese Spezialisierung teilt er mit einem halben Dutzend Nachtfalterarten, unter anderem mit dem tagaktiven, dramatisch schwarz-rot gefärbten Faulbaum-Glasflügler (Synanthedon stomoxiformis). Letzterer fliegt allerdings nur stark geschwächte Sträucher an, die an viel zu trockenen Standorten wachsen; in Gärten wird man ihn kaum je antreffen. Ganz im Gegensatz zum Faulbaum-Bläuling (Celastrina argiolus), der besonders halbschattige, feuchte Stellen im Garten gerne besucht. Neben dem Faulbaum nutzt er dort aber auch Dutzende andere Pflanzen zur Eiablage, besonders gerne den Blutweiderich (Lythrum salicaria), die Besenheide (Calluna vulgaris) und den Roten Hartriegel (Cornus sanguinea). Ähnlich breit aufgestellt ist der Grüne Zipfelfalter (Callophrys rubi), dessen Raupen ebenfalls gerne am Faulbaum aufwachsen. Vollständig auf den Faulbaum spezialisiert sind nur wenige Tierarten, darunter die winzige, hellrote Faulbaum-Wanze (Apolygus rhamnicola).
Faulbaum im Garten: Wildtyp oder Zuchtform?
An Wildstandorten bevorzugt der Faulbaum feuchte, saure Böden an Ufern, am Rand von Mooren oder an feuchten Waldrändern. In regenreichen Gebieten, zum Beispiel in den Voralpen, ist er häufiger und anspruchsloser als in Regionen mit Sommertrockenheit. Wenn Sie im Garten also einen feuchten Ort übrighaben, ein Stückchen Bach- oder Teichufer oder eine Stelle mit Hangdruckwasser, setzen Sie den Faulbaum am besten dort ein. Aber der Gartenstandort muss nicht unbedingt wie ein Wildstandort aussehen; der Faulbaum ist kein anspruchsvoller Strauch. Überall, wo der Boden tiefgründig und nicht allzu trocken ist, hat er gute Chancen. Er toleriert sogar Bedingungen, mit denen andere Sträucher Mühe bekunden: Schatten, lehmige Böden, stark saure und stark basische pH-Werte. Der Faulbaum lässt sich gut in Wildhecken integrieren oder zu einem kleinen Bäumchen schneiden. Als Einzelstrauch wächst er recht unregelmässig in alle Richtungen und erreicht selten eine Form, die ein konventioneller Gärtner als schön betiteln würde. Dafür hat er Charakter. Je nach Standort und Schnitt wird der Faulbaum zwischen 1,5 und 6 Meter hoch.
Für die Ästhetinnen und Ästheten gibt es Zuchtformen wie «Fine Line» oder «Aspleniifolia», die wegen einer Mutation viel schmalere Blätter und einen regelmässigeren Wuchs zeigen. Für Bestäuber und Vögel geben sie gleich viel her wie der Wildtyp, weil sie genauso viele Blüten und Beeren tragen. Aber wegen ihrer Blattform sind sie etwas weniger schattentolerant. Hier zeigt sich eine gute Faustregel für die ganze Pflanzenwelt: Schmale und bunte Blätter enthalten weniger Chlorophyll und brauchen daher mehr Licht als breite und grüne Blätter. Leider ist auch unklar, wie gut die schmalblättrigen Faulbäume von Schmetterlingen angeflogen werden. Als ich noch einen Garten hatte, betreute ich einmal ein gutes Jahr lang einen Faulbaum der Sorte ‘Fine Line’ und fand leider keine einzige Raupe, was sich mit den Beobachtungen anderer Fachpersonen deckte.
Falls eine Zuchtform des Faulbaums in Ihrem Garten steht: Schreiben Sie mir doch, ob Sie schon einmal Raupen daran beobachtet haben. Ich freue mich über jede Einsendung.
Passende Begleitpflanzen
Faulbäume eignen sich besonders gut für Hecken an feuchten, gerne auch schattigen Stellen. Hier sind ein paar andere ökologisch wertvolle Sträucher, die diese Bedingungen mögen, in Reihenfolge ihrer Blühsaison:
- Weidenbüsche wie Grau- (Salix cinerea), Ohr- (S. aurita) und Korb-Weide (S. viminalis)
- Zweigriffliger Weissdorn (Crataegus laevigata)
- Traubenkirsche (Prunus padus)
- Blutroter Hartriegel (Cornus sanguinea ssp. sanguinea)
- Gemeiner Schneeball (Viburnum opulus)
- Gemeines Pfaffenhütchen (Euonymus europaeus)
- Schwarzer Holunder (Sambucus nigra)
- Zimt-Rose (Rosa majalis) und Filzige Rose (R. tomentosa)
- windbestäubt, aber für andere Tiere sehr wertvoll: zum Strauch geschnittene Zitter-Pappeln (Populus tremula) und Erlen (Alnus)
Für Bienen sind Weiden, Weissdorn, Traubenkirsche und Rosen wichtige Pollenquellen, die anderen weniger. Mit einem blühenden Heckensaum aus Stauden wie Geissfuss (Aegopodium podagraria), Himbeere (Rubus idaeus), Nesselblättriger Glockenblume (Campanula trachelium), Wald-Ziest (Stachys sylvatica) und Blut-Weiderich (Lythrum salicaria) lässt sich dies aber aufwiegen.
An einem weniger feuchten, sonnigeren Ort ist die Auswahl der Begleitsträucher nochmals breiter. Die meisten Weiden lassen sich hier nicht mehr so gut verwenden, dafür einige zusätzliche Wildbienenmagnete:
- Salweide (Salix caprea)
- Schwarzdorn (Prunus spinosa)
- zum Strauch geschnittene Stiel-Eiche (Quercus robur)
- Johannis- und Stachelbeeren (Ribes)
- Gemeine Berberitze (Berberis vulgaris)
- zahlreiche weitere Wildrosen (Rosa)
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