Königskerzen: Viersternhotels für die Insektenwelt

12/23 | Natur und Wildbienen
Daniel Ballmer, Verein Floretia

Während die Honigbienen gut versorgt in ihren Stöcken ausharren, müssen sich viele Wildbestäuber mit bescheideneren Winterquartieren zufriedengeben. Besonders beliebt sind dabei die Königskerzen, die bereits im Sommerhalbjahr zahlreichen Insekten als Lebensraum dienen.

Zur Gattung der Königskerzen (Verbascum) gehören einige der grössten und auffälligsten krautigen Pflanzen der Schweiz. Ob nun eine riesige Blattrosette wie ein verirrter, pelziger, überdimensionierter Salatkopf aus einer Mauerritze wächst, oder ob auf einer unscheinbaren Kiesfläche innert kurzer Zeit zwei Meter hohe, goldgelbe Blütenkerzen emporschiessen – die Grösse und Wuchskraft der Königskerzen beeindruckt immer wieder von Neuem. Diese Faszination, die sie auf uns ausüben, verbunden mit ihrer hervorragenden Fähigkeit, schnell neue Standorte zu besiedeln, ist auch der Grund, weshalb Königskerzen im Gegensatz zu vielen anderen Pionierpflanzen immer noch recht häufig anzutreffen sind. Auch viele Menschen, die sonst gründlich jäten, lassen oft eine, zwei Königskerzen stehen und freuen sich über ihre imposante Blütenpracht.

Die Schwarze Königskerze (Verbascum nigrum) ist mehrjährig und relativ konkurrenzstark. So lässt sie sich gut auch in Beete mit anderen mehrjährigen Stauden pflanzen, sogar direkt neben Sträuchern (Foto: Daniel Ballmer).
Wenn die gelben Blütenstände im Morgenlicht leuchten, wird offensichtlich, warum diese Pflanzen «Kerzen» genannt werden (Foto: Daniel Ballmer). 
Königskerzen wirken in ihrer Hochsaison oft wie Blütenfontänen in der Landschaft. Hier die südosteuropäische Pracht-Königskerze (Verbascum speciosum) auf einer Eichenwaldlichtung im Kosovo. Die Stängel der Pracht-Königskerze sind so leicht und stabil, dass sie früher aktiv angebaut, getrocknet und zu Spazierstöcken verarbeitet wurden (Foto: Daniel Ballmer).

Noch beliebter als bei uns Menschen sind Königskerzen bei der Insektenwelt. Dies zeigt sich besonders im Winter, wenn alle Teile der Pflanze als Winterquartier genutzt werden. Die winzigen, blau schillernden Keulhornbienen (Ceratina), von denen nördlich der Alpen zwei und im Tessin sogar fünf verschiedene Arten vorkommen, nagen ihre Nisthöhlen ins Mark von abgebrochenen oder gekappten Königskerzenstängeln. Intakte Stängel nutzen sie nicht – was recht schlau ist, denn diese knicken meist im Winter unter der Schneelast ab und fallen zu Boden, wo sie schnell verfaulen oder verpilzen. Auch einige Masken- (Hylaeus), Blattschneider- (Megachile) und Mauerbienenarten (Osmia, Hoplitis) und deren Brutparasiten sowie mehrere Grabwespen (Spheciformes) nutzen abgeschnittene Königskerzenstängel als Nistplatz. Die Kleine Holzbiene (Xylocopa iris), die bis vor Kurzem nur in der Südschweiz vorkam und sich neuerdings dem Jura entlang nach Norden ausbreitet, löst das Problem mit dem Schnee gleich selbst. Sie nagt ungefähr auf Kniehöhe ein Loch in die dicksten Stängel, legt ein paar Brutzellen an und fällt den Stängel anschliessend oberhalb des Nests. Die Kiefer der gefährdeten Dreizahn-Mauerbiene (Hoplitis tridentata) sind ebenfalls stark genug, um ein seitliches Loch in den Stängel zu nagen, aber nicht, um den Stängel zu kürzen. Deshalb bevorzugt diese Art ebenfalls bereits gekürzte Stängel.

Alle diese Stängelbewohner lassen sich auch im Garten fördern. Entweder, indem verblühte Königskerzen entweder knie- bis hüfthoch abgeschnitten und stehen gelassen werden. Oder noch besser, indem sie in 20–40 cm lange Stücke geschnitten, gebündelt und senkrecht an einem trockenen Ort aufgehängt werden. Zum Beispiel an einem Zaunpfahl, mit etwas Abstand zum Boden. Eine hübsche Variante ist auch die «Wildbienen-Rakete»: Etwa ein Dutzend Stängelstücke werden mit Draht rund um einen längeren Stock befestigt, und der Stock wird wie ein Stück Feuerwerk in die Erde gesteckt. Wer nicht genug verblühte Königskerzen findet, kann sich auch mit dicken Markstängeln von Brombeeren (Rubus), hohen Disteln (Onopordum, Silybum, Carduus) oder Malven (Lavatera, Alcea) behelfen.

Die Dunkle Königskerze ist eine mehrjährige Art (Foto: Sarah Grossenbacher).
Die Königskerzenstängelstücke werden, mit Draht rund um einen längeren Stock befestigt, zur «Wildbienen-Rakete».
Das Schabenkraut (V. blattaria) wurde früher zum Vertreiben von Schaben verwendet (Foto: Sarah Grossenbacher).

Nicht nur die mit Mark ausgepolsterten Stängel der Königskerze sind ein willkommener Schutz gegen den Frost. Mehrere Wollbienenarten (Anthidium, besonders A. oblongatum) schaben im Sommer und Herbst die Pflanzenwolle von den pelzigen Königskerzen-Blättern ab und bauen daraus in Spalten und Hohlräumen ihre Nester. Aber mit Abstand die meisten Kleintiere, die die Königskerzen als Winterquartier nutzen, verkriechen sich unter den ausladenden, wintergrünen Blattrosetten oder in den engen Hohlräumen zwischen den Blättern. Ein bunter Mix aus Wanzen, Käfern, Spinnen und Asseln versammelt sich im Winter unter Königskerzen, zusammen mit diversen Insekteneiern und -puppen. Wer diese Fauna sehen will, sollte dafür einen frostfreien Tag im Spätherbst nutzen und die Blätter vorsichtig anheben, damit die Tiere auch nach dem Beobachten nicht erfrieren.

Mindestens ebenso vielfältig ist das Leben, das sich im Sommerhalbjahr auf Königskerzen abspielt. Die Bestäuber der hohen Blütenstände, die zwischen Juni und September erblühen, sind vor allem Honigbienen und Hummeln, aber auch einige unspezialisierte Wildbienen, Schwebfliegen und Schmetterlinge. Zahlreiche Blattkäfer, Rüsselkäfer und Nachtfalterraupen fressen sich durch die saftigen Blätter und Knospen. Unter ihnen auch die bunten Raupen der Königskerzen-Mönche (Gattungen Cucullia und Shargacucullia), von denen einige nur auf eine bestimmte Königskerzenart spezialisiert sind. Die Kleinblütige Königskerze (Verbascum thapsus) dient zudem einem Tagfalter als Raupennahrung – dem Roten Scheckenfalter (Melitaea didyma). Diese Art lässt sich im Wallis, an einigen Stellen im Jura und in den trockeneren Bündner Tälern auch im Garten fördern. An den meisten anderen Orten ist sie wegen der Zerstörung der Magerwiesen mittlerweile leider ausgestorben oder nur noch in grösseren Naturschutzgebieten anzutreffen. Die ausgewachsenen Schmetterlinge versammeln sich besonders gerne auf den Blüten von Thymian (Thymus) und Dost (Origanum).

Der Rote Scheckenfalter (Melitaea didyma) legt als einziger heimischer Tagfalter seine Eier regelmässig an Königskerzen ab. Diese Art, hier an einem Feld-Thymian (Thymus pulegioides), kann nur in Landschaften mit einem dichten Mosaik an Trockenstandorten langfristig überleben; vielerorts ist sie bereits ausgestorben.

Die Vielfalt der Bestäuber und Pflanzenfresser auf Königskerzen lockt eine ganze Nahrungskette an. Ameisenstrassen ziehen sich die hohen Stängel hoch, Feldwespen (Polistes) patrouillieren zwischen den Blütenständen und auch zahlreiche Vögel und Fledermäuse besuchen Königskerzen gerne als Restaurant. Kohlmeisen (Parus major) nehmen die Blütenstände manchmal regelrecht auseinander, wenn sie darin Käferlarven vermuten. Wo keine Sträucher in der Nähe sind, sitzen Kleinvögel wie die Dorngrasmücke (Sylvia communis) und der Hausrotschwanz (Phoenicurus ochruros) oft auch auf Königskerzen, um rundherum nach Insekten zu jagen.

Eine Maskenbiene (Hylaeus sp.) nisten in den Stängeln der Königskerzen.
Eine Wollbiene (Anthidium) auf Blüten der Echten Ochsenzunge (Anchusa officinalis) neben Samenständen des Schabenkrauts (Verbascum blattaria).
Auch Blattschneiderbiene (Megachile sp.) nisten in den abgestorbenen Stängeln der Königskerzen.
Eine Feldwespe (Polistes sp.) sucht an einer Königskerze nach kleinen Insekten.

Königskerzen im Garten – ein kurzes Vergnügen?

Je nachdem, wo Ihr Garten liegt und wie er gestaltet ist, müssen Sie Königskerzen gar nicht aktiv ausbringen. Es genügt, sie einfach zuzulassen, wenn sie sich unvermeidlich bei Ihnen einstellen. Ansonsten lassen sich Königskerzen auch gut ansäen oder anpflanzen. Die meisten Arten mögen trockene bis frische, durchlässige Böden an sonnigen Orten. Die einheimischen, gelb blühenden Arten Grossblütige (Verbascum densiflorum), Kleinblütige (V. thapsus) und Lampen-Königskerze (V. lychnitis) können dort, wo es ihnen gefällt, gut anderthalb bis zwei Meter hoch wachsen. Das ebenfalls heimische und gelbe Schabenkraut (V. blattaria) und die südosteuropäische, wegen ihrer farbenfrohen Blüten oft angepflanzte Violette Königskerze (V. phoeniceum) bleiben kleiner und graziler. Dies macht sie zu einfacheren Gartenpflanzen, aber auch zu schlechteren Nistplätzen für Wildbienen. Alle fünf Arten verbindet ihre Kurzlebigkeit: Nach ein, zwei Jahren als Blattrosette blühen sie eine einzige Saison und sterben danach ab. Wer sie langfristig im Garten behalten möchte, muss sie entweder immer wieder von Neuem ausbringen oder beim Jäten jeweils ein paar Blattrosetten auslassen. Letzteres funktioniert vor allem an Orten mit mageren Böden, wo die lichtbedürftigen Keimlinge nicht gleich von konkurrenzstärkeren Pflanzen verdrängt werden. Ideale Orte im Garten, an denen man sich mit wenig Pflegemassnahmen jahrelang über Königskerzen freuen kann, sind Magerbeete, Wegränder, Mauerkronen und -spalten, bewachsene Kieswege und -plätze oder auch sehr magere und trockene Wiesen.

Zum Glück gibt es mit der Dunklen Königskerze (V. nigrum) und ihrer nur im Südtessin vorkommenden Schwesterart, Chaix’ Königskerze (V. chaixii), auch zwei mehrjährige Arten. Diese können sich in klassischen Blumenbeeten deutlich besser durchsetzen als ihre kurzlebigen Verwandten, weshalb sie im Gartenbau oft und gerne verwendet werden. Die Dunkle Königskerze ist zudem recht tolerant gegenüber Schatten oder Wurzeldruck, sodass sie sich auch entlang von Hecken oder an schwierigen trocken-schattigen Stellen einsetzen lässt.

Wer spezialisierte Königskerzen-Mönche oder den Roten Scheckenfalter fördern möchte, sollte die Kleinblütige Königskerze plus einen möglichst artenreichen Mix der anderen heimischen Königskerzen anpflanzen. Schlussendlich ist aber sekundär, welche Arten Sie sich in den Garten holen – die Biodiversität fördern alle. Umso mehr, wenn ihre Stängel ein zweites Leben als Nisthilfe führen dürfen.

Begleitflora für kurz- und langlebige Königskerzen

Kurzlebige Königskerzen lassen sich gut mit ebenfalls kurzlebigen oder mit niedrig wachsenden und eher konkurrenzschwachen Pflanzen kombinieren. Folgende Arten gefallen der Wildbienenfauna ganz besonders:

• Disteln (Carduus, Onopordum, Silybum, Echinops), fördern unter anderem die Distel-Wollbiene (Anthidium nanum)

• Feld-Thymiane (Thymus pulegioides, T. praecox), Nektarquellen für zahlreiche Wildbienen und Schmetterlinge, unter anderem für den Roten Scheckenfalter (Melitaea didyma)

• Gewöhnlicher Hornklee (Lotus corniculatus) und Gewöhnliche Felsen-Fetthenne (Sedum rupestre), Pollenquellen für die Spalten-Wollbiene (Anthidium oblongatum)

• Echte Ochsenzunge (Anchusa officinalis)

• Wilde Möhre (Daucus carota)

• Reseden (Reseda lutea, R. luteola)

• Rapunzel-Glockenblume (Campanula rapunculus)

• Weisser und Echter Honigklee (Melilotus albus, M. officinalis)

• Stoebe-Flockenblume (Centaurea stoebe) in der Nordschweiz, Walliser Flockenblume (C. valesiaca) im Wallis

• Saflor oder Färberdistel (Carthamus lanatus)

• Als Frühblüher dazwischen: Acker-Taubnessel (Lamium purpureum) und Traubenhyazinthen (Muscari)

Langlebige Königskerzen fügen sich gut in ein artenreiches, leicht trockenes und gerne etwas mageres Wildbienenbeet ein, das unter anderem aus folgenden Pflanzen bestehen könnte:

• Echter Dost und Garten-Majoran (Origanum vulgare, O. majorana)

• Saat-Esparsette (Onobrychis viciifolia)

• Tauben-Skabiose (Scabiosa columbaria)

• Skabiosen-Flockenblume (Centaurea scabiosa)

• Weidenblättriges Rindsauge (Buphthalmum salicifolium)

• Edel-Gamander (Teucrium chamaedrys)

• Glockenblumen (Campanula persicifolia, C. rapunculoides)

• Mehrjährige Malven (Malva moschata, M. alcea)

• Strauchkronwicke (Hippocrepis emerus)

• Zieste und Betonien (Stachys recta, S. byzantina, S. officinalis)

• Ähriger Ehrenpreis (Pseudolysimachion spicatum)

• Echter Lavendel (Lavandula angustifolia)

• Blutroter Storchschnabel (Geranium sanguineum)

Foto: Sarah Grossenbacher
Buntbrache mit Königskerzen (Foto: Sarah Grossenbacher)

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