Während vielerorts noch eine dicke Schneedecke liegt, wird die einjährige Purpur- oder Acker- Taubnessel (Lamium purpureum L.) bereits an warmen Februartagen von den ersten Hummeln, Wild- und Honigbienen umschwirrt. Eine Chance, um diese Pflanze, ihre Geschichte und ihre sechsbeinigen Besucherinnen genauer unter die Lupe zu nehmen und mit Vorurteilen aufzuräumen.
Die Bienen, die an den ersten warmen Tagen im Vorfrühling schon aktiv werden, sind fast alle gross und pelzig. Zwischen frisch geschlüpften Hummelköniginnen und Frühlings-Pelzbienen (Anthophora plumipes) fliegen die riesigen, nach ihrer Überwinterung meist etwas ausgemergelt wirkenden Weibchen der Blauschwarzen Holzbiene (Xylocopa violacea). Und natürlich sind auch die ersten Honigbienen schon zur Stelle, die als Späherinnen das Blütenangebot überwachen und ihren Völkern zurückmelden, ob sich ein grösserer Ausflug lohnt. Bei ihnen allen steht die Purpur-Taubnessel hoch im Kurs. Ihre kleinen Blüten liefern zuverlässig Nektar und Pollen, und mit ihren auffallend gefärbten Triebspitzen signalisiert sie schon von Weitem: «Hier gibt es was zu holen!» Auch Schmetterlinge, Schwebfliegen und die helikoptergleich in der Luft stehenden Wollschweber nutzen die Purpur-Taubnessel gerne als erste Tankstelle nach dem Winter.
Die Purpur Taubnessel ist nicht die einzige Frühblüherin. Aber von Winterling (Eranthis hyemalis), Schneeglöckchen (Galanthus nivalis) und Co. hebt sie sich ab, weil sie kaum älter wird als ein Jahr. Und weil sie in diesem Jahr einfach nicht aufhört zu blühen – die ganze Saison lang, bis in den Spätherbst, an warmen Stellen bis tief in den Dezember hinein. Auch die Nachkommen der Hummelköniginnen und viele später fliegende Wildbienen haben ihre helle Freude an ihr. Besonders prominent tut sich dabei die Garten-Wollbiene (Anthidium manicatum) hervor: Die bulligen Männchen bewachen Taubnesselbestände und greifen alle anderen Bienen an, ausser den Weibchen ihrer eigenen Art. Selbst die grossen Hummeln und Holzbienen werden nicht verschont. Wo die Wollbienen-Machos nicht allzu dominant auftreten, fliegen andere Arten die Purpur-Taubnessel an. Darunter die Sommer-Pelzbiene (Anthophora aestivalis), die häufig in Nisthilfen brütende Stahlblaue Mauerbiene (Osmia caerulescens) und die Goldene Schneckenhaus-Mauerbiene (Osmia aurulenta). Letztere baut ihre Nester in verlassenen Schneckenhäuschen in der Laubstreu und ist darauf angewiesen, dass nicht jede Ecke im Garten feinsäuberlich geputzt wird.
Erfolgreiche Einwanderin
Wie die meisten Ackerbegleitpflanzen stammt die Purpur-Taubnessel aus dem Mittelmeerraum. Wann und wie sie genau ihren Weg über die Alpen fand – ob mit den Römern, etwas später oder gar früher – ist nicht ganz klar. Sicher ist, dass ihr die Landwirtschaft ideale Bedingungen bietet: immer genug Wasser und Nährstoffe und frisch bearbeitete Böden ohne grossen Konkurrenzdruck. Hier findet die schnelllebige Pflanze ihr Paradies auf Erden. Und sie ist nicht die Einzige; mit ihr hat sich über die letzten Jahrtausende eine bunte, artenreiche Gesellschaft aus einheimischen und mediterranen Pflanzen auf unseren Äckern eingefunden. Nicht wenige von ihnen sind in den letzten hundert Jahren wieder selten geworden oder ganz verschwunden, wegen des grossflächigen Herbizideinsatzes oder weil sie auf lückig bewachsene, trockene oder nicht allzu nährstoffreiche Böden angewiesen sind. Da die Äcker heute stärker gedüngt und bewässert werden als früher und dadurch viel dichter wachsen, finden diese Arten keine Nische mehr. Anders die Acker-Taubnessel: Sie toleriert Schatten und Überdüngung, und die immer milderen Winter tragen auch dazu bei, dass sie in den letzten Jahren eher häufiger geworden ist.
Purpur-Taubnessel im Garten: zulassen oder bewusst einsetzen
Viele halten die Purpur-Taubnessel für ein Unkraut. Das ist auch verständlich, denn sie überzieht offene Stellen in Äckern, Beerenkulturen, Gemüse- und Blumenbeeten rasend schnell mit ihren grün-violetten Blättern. Gerade im Vorfrühling, wenn ihre Blüten noch die einzigen sind, wirkt sie wie eine Pflanze, die alle anderen verdrängt. Aber das Gegenteil ist der Fall: Die PurpurTaubnessel ist äusserst konkurrenzschwach und verbreitet sich gerade deshalb in Lücken, wo nichts anderes wächst. Sie setzt darauf, die Erste zu sein und sich möglichst schnell zu versamen – denn unter natürlichen Bedingungen wird sie spätestens im zweiten oder dritten Jahr wieder verdrängt. Darum trifft man sie auch meist an Orten wie Äckern und Gemüsebeeten an, die jedes Jahr umgepflügt oder umgegraben werden.
Wuchert die Purpur-Taubnessel zwischen mehrjährigen Pflanzen, beispielsweise unter frisch gesetzten Sträuchern, wird sie auch im Garten schnell wieder von selbst verschwinden. Hier sollte sie keinesfalls ausgerissen werden, ihr Schatten schützt den Boden vor dem Austrocknen. Wenn die Purpur-Taubnessel in bepflanzten Gemüsebeeten oder Blumenbeeten überhandnimmt, dann zeigt sie damit an, dass die absichtlich gepflanzte Flora nicht so recht an diesen Standort passt. Gesunde, standortgerechte Pflanzen setzen sich gegen sie durch. Einzig bei Ansaaten von Gemüse und Blumen kann die Purpur-Taubnessel stellenweise problematisch werden, wenn sie den jungen Keimlingen zu viel Licht nimmt. Dann empfiehlt sich, sie abzuschneiden oder abzumähen. Ausreissen ist keine gute Option, damit würden die zarten Wurzeln der Keimlinge beschädigt.
Die Purpur-Taubnessel eignet sich im Garten gut als Begleitpflanze für frisch gepflanzte Sträucher, Bäume und Beete, für Gemüsegärten und regelmässig bewässerte Töpfe. Am besten verwendet man sie als Teil einer kurzlebigen Begleitflora, zusammen mit Mohn, Kornblume, Ackersenf und anderen wertvollen Trachtpflanzen. Wer sich die Purpur-Taubnessel in den Garten holen möchte, muss sie an den meisten Orten in der Schweiz ein fach nur zulassen – gerade in der Nähe von Äckern kommt sie ganz von selbst in den Garten. Nur in trockenen oder städtischen Regionen kann es sein, dass sie angesät werden muss. Und oberhalb von 800 Metern über Meer fühlt sich die mediterrane Pflanze nur noch an wenigen Stellen wohl.
Wie alle Taubnesseln ist die Purpur-Taubnessel essbar. Junge Triebspitzen und Blüten machen sich gut in Salaten, Kräuterpasteten und anderen Rezepten. Da viele Standorte an Acker- und Wegrändern mit Pestiziden, Dünger oder Hundekot verunreinigt sind, empfiehlt es sich, nur Taubnesseln aus dem Garten zu essen und sie vorher gründlich zu waschen.
Begleitstauden
Unter den Ackerbegleitstauden gibt es noch mehr Arten, die einen hohen Wert als Trachtpflanze haben und die sich gut mit der Purpur-Taubnessel zusammen ansäen lassen:
- Der Ackersenf (Sinapis arvensis) ist eine Pollenquelle für mehr als sechzig Wildbienenarten, darunter auch spezialisierte Arten wie die Schöterich-Mauerbiene (Osmia brevicornis). Seine hellgelben Blüten strahlen von Mai bis September, die Samen sind essbar.
- Die Kornblume (Centaurea cyanus) dient ebenfalls zahlreichen Wildbienen als Nektar- und Pollenquelle. Ihre tiefblauen Blüten leuchten von Juni bis in den Herbst hinein und lassen sich als Farbspritzer in Tees und Salaten verwenden.
- Mehrere gelbe, weisse oder orange Korbblütler lassen sich ebenfalls gut als Begleitpflanzen einsetzen: Acker- und Färber-Hundskamille (Anthemis arvensis, A. tinctoria), Acker- und Garten-Ringelblume (Calendula arvensis, C. officinalis) sowie die Kamille (Matricaria chamomilla) sind alle recht beliebt bei Wildbienen, insbesondere bei kleineren Arten wie Masken- und Löcherbienen.
- Die knallroten, weit offenen Blüten des Klatschmohns (Papaver rhoeas) werden besonders gerne von kleinen Wildbienen besucht. Sie öffnen sich zwischen Mai und September, jede nur kurz.
- Der Grossblütige Breitsame (Orlaya grandiflora) blüht in grossen weissen Dolden von Juni bis August. Er wird vor allem von Schwebfliegen und Käfern besucht, aber auch von der spezialisierten Frühen Doldensandbiene (Andrena proxima).
- Der selten gewordene Acker-Rittersporn (Consolida regalis) blüht lila, von Mai bis September. Er wird nur von wenigen, unspezialisierten Wildbienen besucht.
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