Unterdrückte Milbenvermehrung als Selektionsmerkmal? 

| Wissenschaft und Praxis
ADRIEN VON VIRAG, MATTHIEU GUICHARD, MARKUS NEUDITSCHKO, VINCENT DIETEMANN, BENJAMIN DAINAT, ZENTRUM FÜR BIENENFORSCHUNG, AGROSCOPE, 3003 BERN

Die unterdrückte Milbenvermehrung wird bereits in manchen Zuchtprogrammen als Selektionsmerkmal verwendet. Eine Studie von Agroscope ZBF hat die Messbarkeit dieses Merkmals untersucht. Die Verlässlichkeit der Messungen in den untersuchten Völkern war gering und zeigte keine signifikante Korrelation mit dem Varroabefall.

Die Varroamilbe (Varroa destructor) stellt die grösste Bedrohung für die Gesundheit der Honigbiene dar. Resistente Bienen, die über mehrere Jahre ohne Behandlung überleben, wurden bereits in verschiedenen Populationen auf der Welt beobachtet und geben Hoffnung auf eine Imkerpraxis, die für die Honigbienen schonender ist. Dementsprechend beschäftigen sich die Züchter/-innen und die Wissenschaft seit der Einschleppung der Milbe mit der Zucht von varroaresistenten Honigbienen.1,2 Zusammenfassend werden jene Völker, die gewisse Resistenzmerkmale zeigen, zur Aufzucht von neuen Königinnen ausgewählt. Verschiedenste Resistenzmerkmale wurden bereits untersucht und in der Zucht berücksichtigt, beispielsweise die unterdrückte Milbenvermehrung, auch Suppressed Mite Reproduction (SMR) genannt. Ein hoher SMR-Wert bedeutet, dass sich die Milben in einem Volk schlecht vermehren. Da SMR bereits in der Zucht von Honigbienen berücksichtigt wird, wobei dieses Merkmal in der Wissenschaft weiterhin umstritten ist, wurde in dieser Studie der Fokus auf die Eigenschaften von SMR in der Zucht gelegt. 

Was genau geschieht bei einer unterdrückten Milbenvermehrung?

In der Regel dringt ein adultes Milbenweibchen kurz vor der Verdeckelung in die Brutzelle ein und fängt nach 70 Stunden an, Eier zu legen. Das erste Ei entwickelt sich als Männchen, welches dann die restlichen Nachkommen (seine Schwestern) befruchtet. Danach legt die Varroa-Mutter im Abstand von 30 Stunden Eier, aus denen sich ein Weibchen entwickelt. Die ersten weiblichen Nachkommen erreichen das adulte Alter, kurz bevor die Biene schlüpft. Bei einer Arbeiterinnenpuppe im Entwicklungsstadium mit violetten Augen sieht man also oft die Muttermilbe, ein adultes Männchen und drei verschieden alte Töchter (Foto vorangehende Seite). Es wurde beobachtet, dass sich die Milben in Völkern mit stark ausgeprägtem SMR-Verhalten aus drei verschiedenen Gründen schlecht vermehren: 

  • Die Muttermilbe legt gar keine Eier oder es entstehen nur Männchen (Foto rechts). 
  • Die Eier werden spät gelegt, sodass die Nachkommen im Vergleich zur Bienenlarve zu jung und dementsprechend unreif sind, wenn die Biene schlüpft. 
  • Es ist kein Männchen zur Befruchtung vorhanden. 

Dadurch haben diese Völker, in der Theorie, einen tieferen Milbenbefall und sind für die Resistenzzucht von speziellem Interesse. Welches Bienenverhalten dazu führt, dass sich Milben in gewissen Völkern schlechter vermehren, bleibt jedoch unbekannt. Ein Verhalten der erwachsenen Ammenbienen oder bestimmte chemische Aussonderungen der Bienenlarven könnten dafür verantwortlich sein.

Neues Resistenzmerkmal im Test

Damit ein Resistenzmerkmal wirksam in der Zucht eingesetzt werden kann, müssen einige Voraussetzungen erfüllt werden: Das Merkmal muss einfach und zuverlässig zu messen sein, damit möglichst viele Züchter/-innen es anwenden können. Es sollte eine gewisse Erblichkeit zeigen (wird an die Nachkommen durch das genetische Erbgut weitergegeben) und die Wirksamkeit gegen die Milben muss nachgewiesen werden (der Milbenbefall von selektierten Völkern sollte niedriger sein). 

In unserer Studie3 haben wir für das Resistenzmerkmal SMR folgende Punkte überprüft:  

  1. Ist die Messung zuverlässig? 
  1. Besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen SMR und dem Milbenbefall? 
  1. Kann das Merkmal allenfalls auch in der Drohnenbrut gemessen werden? 

In der Regel wird SMR in der Arbeiterinnenbrut gemessen, doch eine Messung in der Drohnenbrut wäre für eine frühzeitige Weiterzucht vorteilhaft, da man das Merkmal aufgrund des höheren Milbenbefalls in der Drohnenbrut bereits anfangs Saison erfassen könnte. Um diese Fragen beantworten zu können, haben wir 100 Völker der Dunklen Honigbiene (Apis mellifera mellifera) während zwei Jahren untersucht. Dabei wurde jeweils Ende August bei jedem Volk Brut entnommen, um den SMR-Wert zu ermitteln. Der Milbenbefall wurde mit drei Methoden erfasst: natürlicher Milbenfall über die ganze Saison auf gittergeschützten Unterlagen und der Befall der adulten Bienen zum Zeitpunkt der Brutentnahme im August mittels Bienenwaschungen mit Seifenlösung. Der Befall innerhalb der Brut wurde gleichzeitig mit der SMR-Messung erhoben.

Aufwendige Messungen

Bei jedem Volk wurden drei SMR-Messungen durchgeführt; zwei in der Arbeiterinnenbrut sowie eine in der Drohnenbrut. Bei einer SMR-Messung werden Brutzellen vorsichtig geöffnet. Falls Milben vorhanden sind, wird festgestellt wie viele, in welchem Entwicklungsstadium und ob Männchen vorhanden sind. Daraus kann man ermitteln, ob oder wie erfolgreich sich die Muttermilbe bis zum Schlüpfen der Biene vermehren kann. Um einen verlässlichen Messwert zu erhalten, müssen 35 einzelne befallene Zellen untersucht werden. Das heisst aber, dass dafür Hunderte bis Tausende von Zellen geöffnet werden müssen, um überhaupt 35 befallene Zellen zu finden. Als Ergebnis erhält man einen SMR-Wert (Prozentsatz an Zellen, in denen sich die Milben aus den auf der vorherigen Seite genannten Gründen nicht vermehren können). 

Wiederholbarkeit der Messung

Wäre die Messung zuverlässig, würde man bei beiden Messungen aus der Arbeiterinnenbrut desselben Volks das gleiche Resultat erhalten. Wir erhielten jedoch insgesamt keinen signifikanten Zusammenhang zwischen den beiden Messungen (die im gleichen Zeitraum und vom gleichen Beobachter gemacht wurden): Macht man zum gleichen Zeitpunkt zwei Messungen am gleichen Volk, erhält man also verschiedene Resultate. Es gab auch keinen signifikanten Zusammenhang zwischen den Messungen der Arbeiterinnen- und Drohnenbrut. Folglich ist diese Messmethode nicht präzise genug, um die Milbenvermehrung zuverlässig zu ermitteln. Dieses Ergebnis wurde bereits von einer kürzlich publizierten Studie bestätigt.4 

SMR-Werte ohne klaren Zusammenhang mit Varroabefall

Die drei Ermittlungsmethoden des Milbenbefalls zeigten eine mittelmässige Korrelation zueinander. Das zeigt, dass die drei Methoden, wenn auch gut etabliert, nicht dieselben Ergebnisse liefern und auch unterschiedlich stark mit SMR im Zusammenhang stehen können. Hohe SMR-Werte sollten idealerweise mit tiefen Befallswerten einhergehen. Wir erhielten einige Anzeichen dafür. Diese sind jedoch nicht stark genug, um einen Zusammenhang zu bestätigen. 

Werte unterdrückter Milbenvermehrung sind unzuverlässig

Es ist gut möglich, dass ein Zusammenhang zwischen SMR und dem Milbenbefall existiert, andere äussere Faktoren wie das Wetter, die imkerliche Praxis und die Milben-Reinvasion jedoch einen grösseren Einfluss haben und dadurch den Effekt des genetischen Erbguts überdecken. Der Grossteil unserer SMR-Werte in Arbeiterinnenbrut zeigte, dass zwischen 10 und 30 Prozent der Zellen nicht-reproduktive Milben beinhalteten (dies entspricht der durchschnittlichen Rate in anderen nicht-resistenten Populationen). Keines unserer Völker zeigte extreme Werte über 50 %, wie es bereits in anderen Studien gemessen wurde. Es könnte jedoch sein, dass solche hohe Werte nötig sind, um überhaupt einen Zusammenhang mit dem Milbenbefall feststellen zu können. Zusätzlich verringert die bereits erwähnte schlechte Verlässlichkeit der SMR-Messung gerade bei tieferen Werten die Wahrscheinlichkeit, signifikante Korrelationen mit dem Milbenbefall zu finden. 

Schlussfolgernd kann man sagen, dass die Untersuchung dieses Resistenzmerkmals sehr zeitaufwendig (mehrere Stunden pro Volk) ist. In unserer untersuchten Population war die Messung nicht wiederholbar und zeigte keine Korrelation mit der Anzahl Milben im Volk. Das könnte auch in anderen Populationen der Fall sein und SMR könnte dementsprechend ein unzuverlässiges Merkmal sein. Bevor also ein Zuchtprogramm mit Fokus auf SMR geplant wird, sollte man zuerst die Zuverlässigkeit der Messungen prüfen.

Literatur 

  1. Guichard, M.; Dietemann, V.; Neuditschko, M.; Dainat, B. (2020) Advances and perspectives in selecting resistance traits against the parasitic mite Varroa destructor in honey bees. Genetics Selection Evolution (https://doi.org/10.1186/s12711-020-00591-1). 
  1. Guichard, M; Dainat, B. (2021) Zuchtkonzepte für die Honigbiene. Schweizerische Bienen-Zeitung 2: 20–21. 
  1. von Virag, A.; Guichard, M.; Neuditschko, M.; Dietemann, V.;  Dainat, B. (2022) Decreased Mite Reproduction to Select Varroa destructor (Acari: Varroidae) Resistant Honey Bees (Hymenoptera: Apidae): Limitations and Potential Methodological Improvements. Journal of Economic Entomology 115(3): 695–705 (https://doi.org/10.1093/jee/toac022). 
  1. Eynard, S. E. et al. (2020) Descriptive Analysis of the Varroa Non-Reproduction Trait in Honey Bee Colonies and Association with Other Traits Related to Varroa Resistance. Insects 11(8): 492 (https://doi.org/10.3390/insects11080492)   

Bildlegenden

Eine typische Milbenfamilie bei einer Bienenpuppe mit violetten Augen. Von links nach rechts: adultes Männchen, Muttermilbe, zwei Töchter im Deutonymphen-Stadium und eine Tochter im Protonymphen-Stadium. 
Zelle mit einer Muttermilbe (rechts im Bild) und zwei adulten männlichen Nachkommen (links im Bild) nach Entfernung der Bienenpuppe. Eine solche Zelle zählt als nicht reproduktiv, da keine fruchtbaren weiblichen Nachkommen produziert wurden. 

FOTOS: ADRIEN VON VIRAG, AGROSCOPE 

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