Gespenster-Drohnen

09/23 | Wissenschaft und Praxis
Ilan Bult, Imker, Arlesheim (ilanbult@posteo.net),Vincent Dietemann, Zentrum für Bienenforschung, Agroscope (vincent.dietemann@agroscope.admin.ch),Matthieu Guichard (matthieu.guichard@apiservice.ch) und Ruedi Ritter (ruedi.ritter@apiservice.ch) apiservice/Bienengesundheitsdienst (BGD)

Die Arbeit auf dem Bienenstand ist anspruchsvoll und spannend. Bei genauem Hinsehen können manchmal ausserordentliche Dinge beobachtet werden. Wir beschreiben hier das Vorkommen von lebenden weissen Drohnen, welche in der Literatur bisher nie erwähnt wurden.

Drohnen entstehen aus unbefruchteten Eiern und haben keine Väter. Sie besitzen nur einen einfachen Satz des Erbgutes, sind also haploid. Deshalb sind sie anfälliger auf genetisch bedingte Anomalien.1 Arbeiterinnen und Königinnen stammen aus befruchteten Eiern, sie sind diploid. Ihr zweiter Chromosomensatz stellt sicher, dass Missbildungen kaum auftreten.

Erbfehler Augenfarbe

Die wohl am häufigsten beschriebenen Anomalien der Drohnen betreffen die Augenfarbe. Bereits im Jahr 1968 wies Prof. H. Dustmann nach, dass die normale Augenfarbe im Stoffwechsel über mehrere Stufen aufgebaut wird. Treten im Erbgut sprunghafte Veränderungen (Mutationen) auf, können verschiedenste Augenfarben auftreten. Bekannt sind mehr als 20 Augenfarbenmutationen.2

Im Volk, von dem der Drohn auf der Abbildung unten links stammt, gab es mehrere solcher Tiere. Ein erblicher Defekt ist deshalb wahrscheinlich. Das Pigment der Augen schützt diese vor übermässigem Lichteinfall. Beim Fotografieren mit Blitzlicht zuckte das Insekt mit den weissen Augen jeweils so zusammen, wie wenn es stark geblendet würde.

Drohn mit weissen Augen.
Augenpigmentfehler: die braunrote Augenfarbe der zwei Drohnen rechts im Bild
unterscheidet sich deutlich von der normalen des Drohns links

Weisse Drohnen

Martin Dettli betreibt zusammen mit Ilan Bult eine Demeter-Imkerei mit rund 50 Bienenvölkern. Diese sind auf mehrere Stände verteilt. In diesem Artikel geht es um weisse Drohnen, die bei Martin Dettli im Mai 2023 in einem Volk auftauchten.

Das Phänomen der weissen Drohnen ist in der wissenschaftlichen Literatur bisher nicht beschrieben und zeigt einmal mehr wie Beobachtungen von Imkerinnen und Imkern mithelfen, den Kenntnisstand über Honigbienen zu erhöhen (siehe auch Artikel «Arbeiterinnen aus Drohnenzellen», SBZ 09/2018).

Ein Teil der schlüpfenden Drohnen im betroffenen Volk sind weiss (Foto untere Reihe links). Sie haben rot pigmentierte Augen und bewegen sich nur mühsam auf den Waben. Körper und Beine sind schlaff. Es scheint, dass der Chitinpanzer sich weder dunkel färbt, noch aushärtet. Diese Tiere können möglicherweise aufgrund eines Fehlers im Erbgut einen Stoffwechselschritt zur normalen Entwicklung nicht vollziehen. Ohne weitere Studien lässt sich die genaue Ursache der Anomalie nicht klären. Sowohl unbekannte Umweltfaktoren als auch epigenetische Effekte könnten mitspielen.

Vor dem Flugloch des betroffenen Volks sammeln sich massenhaft gestorbene weisse Drohnen (Foto untere Reihe rechts). Wegen des vermuteten Erbfehlers sind sie nicht lebensfähig. Genetische Defekte, die zum Tod führen, nennen wir Letalfaktoren.

Bienenstand von Martin Dettli, auf dem die weissen Drohnen entdeckt wurden
Weisser Drohn mit rot pigmentierten Augen
Leblose weisse Drohnen vor dem Flugloch.

Im Volk lassen sich auch normal gefärbte, lebensfähige Drohnen beobachten. Aufgrund der Vererbung lässt sich dies auch erklären. Bei der Hypothese eines einzigen defekten Gens erhalten die Drohnen entweder die defekte oder intakte Erbvariante ihrer Mutter. Entsprechend gäbe es vom Erbfehler betroffenene und nicht betroffene Individuen.

Nicht alle Drohnen schaffen es, aus der Zelle zu schlüpfen. Auf dem zweiten Foto unten sieht man ein abgestorbenes Tier (im weissen Kreis). Auf den ersten Blick scheinen über 50 % der Drohnen vom Erbfehler betroffen zu sein. Normale Drohnen (im roten Kreis) schlüpfen viel schneller, während die weissen sehr lange brauchen. Deshalb scheinen auch überproportional viele weisse Drohnen am Schlüpfen zu sein. Die Augenfarbe der weissen Drohnen unterscheidet sich von derjenigen der normalfarbigen.

Der Drohn auf dem zweituntersten Foto rechts weist am Hinterleib einen weissen Haarkranz auf. Es gibt Erbeigenschaften, die sich unter bestimmten Umständen wie Umwelteinflüssen nicht vollständig ausprägen. Analog könnte die dunkel verfärbte linke Antennenspitze des schlüpfenden weissen Drohns (im weissen Kreis auf dem Foto rechts oben) eine beginnende Färbung des sonst weissen Drohns sein.

Die Hauptaufgabe der Drohnen im Superorganismus Bienenvolk ist, sich mit brünstigen Königinnen zu paaren. Bei den Paarungen in der Luft übernimmt die Königin die Spermien von durchschnittlich zwölf Drohnen. Dies geschieht auf Drohnensammelplätzen, wo sich Tausende Drohnen verschiedener Völker treffen. Im Flug wetteifern viele Drohnen um die Paarung mit der Königin. Nur fitten, gesunden und schnellen Drohnen gelingt dies, was die Verbreitung von Erbfehlern behindert.

Ein normaler Drohn neben einem schlüpfenden weissen (im Kreis dunkel verfärbte linke Antennenspitze).
Schlüpfende Drohnen: mehrere weisse, einer davon abgestorben (weisser Kreis), und ein normaler Drohn (roter Kreis).
Drohn mit weissem Haarkranz.
Drohnen beim Start zum Paarungsflug.

Literatur

  1. Autorenkollektiv (2020) Das Schweizerische Bienenbuch, Band 3, Königinnenzucht und Genetik der Honigbiene, 4.2 Erbfehler, S. 70–71, BienenSchweiz, 21. überarbeitete Auflage.
  2. Kauhausen-Keller, D. (2009) Helläugige Drohnen, wie kommt das? Bienen & Natur.(https://www.bienenundnatur.de/bienenkrankheiten/weitere-krankheiten/102009-hellaeugige-drohnen-wie-kommt-das-767)

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