Lieber heimlich mächtig als laut und ohnmächtig

08/24 | BienenSchweiz
Sarah Grossenbacher, Redaktion Schweizerische Bienen-Zeitung, (sarah.grossenbacher@bienenschweiz.ch)

Am 22. September steht die Abstimmung zur Biodiversitätsinitiative an. Im Vorfeld dieser und anderer Abstimmungen wird oft nach der Position von BienenSchweiz gefragt. Einige Imkerinnen und Imker erwarten, dass BienenSchweiz zur Biodiversitätsinitiative Stellung bezieht. Der Zentralvorstand von BienenSchweiz hat kürzlich entschieden, dass der Verband auch zukünftig keine offiziellen Empfehlungen zu politischen Abstimmungen abgeben wird.

Die Biodiversitätsinitiative verfolgt das Ziel, die Landschaften, die Natur, die Ortsbilder und die Kulturdenkmäler zu schützen. Weiter sollten mit der Annahme der Initiative Flächen und finanzielle Mittel, die für die Sicherung und Stärkung der Biodiversität erforderlich sind, zur Verfügung gestellt werden.

Fokus auf konkrete Umsetzungen

Auch wenn dies teilweise aus der Imkerschaft gefordert wird, fasst BienenSchweiz bei Abstimmungen keine Parolen. Der Zentralvorstand (ZV) hat kürzlich ein Grundsatzpapier zum politischen Agieren verabschiedet. Die Struktur von BienenSchweiz, bestehend aus einer jährlichen Delegiertenversammlung und einem kleinen Zentralvorstand, ermöglicht keine seriöse basisnahe Willensbildung. Auch bezüglich der Biodiversitätsinitiative hat der Zentralvorstand seine Haltung definiert. Beide Dokumente können bei der Geschäftsstelle bezogen werden.

Der ZV weist darin darauf hin, dass ein bedeutender Teil der Biodiversitätsinitiative über den eigentlichen Tätigkeitsbereich von BienenSchweiz hinausgeht. Der Titel lautet zwar «Biodiversitätsinitiative», aber zwei von drei Forderungen betreffen den Orts- und Landschaftsschutz sowie Kulturdenkmäler. Selbst wenn diese Forderungen in der Verfassung aufgenommen würden, führte dies nicht automatisch zu einer raschen Umsetzung, denn das Parlament muss dazu zuerst die Ausführungsgesetzgebung erarbeiten. In der aktuellen Zusammensetzung wird von diesem Parlament diesbezüglich kaum viel zu erwarten sein. Konkrete Massnahmen zur Förderung der Biodiversität, wie die 3,5 % Biodiversitätsförderfläche auf Ackerland, wurden erst kürzlich widerrufen.

BienenSchweiz will sich daher in ihrer politischen Arbeit auf die konkrete Umsetzung beschlossener Massnahmen konzentrieren, wie beispielsweise die Motion Hegglin, die apisuisse gemeinsam mit Ständerat Peter Hegglin und Nationalrätin Delphine Klopfenstein-Broggini erarbeitet hat.

Die Bienen-Zeitung hat dem neuen Bienen-Schweiz Zentralpräsidenten Martin Schwegler einige Fragen zur Thematik gestellt:

Um die Schweizer Natur steht es schlecht: Über ein Drittel der untersuchten Tier- und Pflanzenarten und fast die Hälfte der Lebensräume sind bedroht. Mit der Biodiversitätsinitiative soll der fortschreitende Artenschwund gestoppt werden. Sollte BienenSchweiz nicht an vorderster Front für die Initiative kämpfen?

Wenn es nur nach dem Titel der Initiative ginge, müssten wir das eigentlich, ja. Aber wir stimmen über konkrete Sätze ab, welche in die Verfassung kommen sollen. Wer den Initiativtext liest, stellt unschwer fest, dass die Biodiversität neben anderen Forderungen erst an dritter Stelle steht. Als Jurist frage ich mich übrigens, weshalb das Parlament diese Initiative so zugelassen hat, denn meines Erachtens ist der Grund­satz der sogenannten Einheit der Materie verletzt.

Bezogen auf die Biodiversität und die Bienen gibt es bereits genügend parlamentarische Beschlüsse, die auf Umsetzung warten. Zu erwähnen ist hier die Motion des damaligen Nationalrats Bernhard Guhl aus dem Jahre 2019 (Umsetzung nationaler Massnahmenplan zur Gesundheit der Bienen) sowie eine Kom­missions­motion der UREK aus dem Jahre 2020 (Insektensterben bekämpfen) sowie die neuste Motion von Ständerat Peter Hegglin zur Bestäubungssicherheit. Wir fokussieren uns lieber auf die konkrete Umsetzung dieser parlamentarischen Beschlüsse, als dem Parlament über die Verfassung weitere vage Aufträge zu geben.

Zu den Trägerorganisationen der Biodiversitätsinitiative gehören unter anderem Pro Natura und Birdlife. Auch die Vogelwarte, WWF, IG Wilde Biene, der Verein Heckentag oder der Zoo Zürich gehören zu den unterstützenden Organisationen. Verpassen wir durch unsere Neutralität nicht eine riesige Chance, als Verband, der sich für die Bienen und Biodiversität einsetzt, wahrgenommen und gehört zu werden?

Ich verstehe, dass der Verzicht auf eine offizielle Unterstützung auch als Ablehnung gesehen werden kann. Aber weil die Initiative nicht nur die Biodiversität betrifft und weil wir ganz grundsätzlich beschlossen haben, auf Parolen zu verzichten, machen wir auch hier keine Ausnahme. Hinzu kommt: Wer BienenSchweiz als Unterstützer im Boot haben will, soll uns beim Erarbeiten der Initiative beiziehen und nicht erst dann, wenn es um die Abstimmung geht. Ganz generell bezweifeln wir den Nutzen von Parolen.

Inwiefern bezweifelst du den Nutzen einer Parole?

Vielleicht kurz zu meinem Hintergrund: Ich war in meinem Leben über 20 Jahre lang politisch sehr aktiv, zuletzt als Präsident der damaligen CVP des Kantons Luzern. Eine politische Partei muss Parolen fassen. Aber dafür ging viel Zeit und Energie drauf, zudem entzweite eine Parole öfters intern mehr, als nach aussen Wirkung erzielt wurde. Bezogen auf BienenSchweiz birgt eine Parolenfassung auch Gefahren. Plötzlich werden wir in ein politisches Lager gesteckt und verbauen uns so den Zugang zu allen politischen Lagern. Gerade die überzeugende Annahme der Motion Hegglin, welche gleichlautend ja auch von Delphine Klopfenstein Broggini (Grüne, VD) und Andreas Aebi (SVP, BE) eingereicht wurde, zeigt, wie vorteilhaft es ist, in alle politischen Lager einen Draht zu haben.

BienenSchweiz hat sich als Ziel gesetzt, als Fachspezialist im Bereich Bienen und Bestäubung wahrgenommen zu werden. Haben wir dieses Ziel erreicht oder gibt es hier Verbesserungspotenzial?

Ich behaupte mal, in unseren Reihen ist das Know-how schon genügend hoch, weshalb wir uns mit gutem Gewissen als Fachspezialisten bezeichnen dürfen. Die Wahrnehmung ist etwas anderes. Damit uns alle als Bienenfachspezialist wahrnehmen, braucht es ständige Auseinandersetzung mit der Thematik und eine entsprechende Präsenz in den Medien. Wir sind da gut unterwegs, aber können uns schon noch verbessern. Insbesondere unsere Wahrnehmung bei den kantonalen Ämtern muss noch verbessert werden.

Weiter versteht sich BienenSchweiz als eine Organisation mit Brückenfunktion zwischen den Interessen der Landwirtschaft und der Biodiversität. Der Bauernverband und ihr Präsident kämpfen oft vehement gegen mögliche Massnahmen zugunsten der Biodiversität. Die Kluft zwischen den verschiedenen Interessensgruppen scheint stetig zu wachsen. Wie funktioniert dabei das Brückenbauen seitens BienenSchweiz?

Wer Brücken bauen will, muss mit möglichst vielen Personen mit unterschiedlichen Haltungen und Positionen im Gespräch bleiben. Ich würde dem Bauernverband nicht per se unterstellen, gegen Biodiversität zu sein. Wenn Markus Ritter darauf hinweist, dass das Kulturland keine 20 % unserer Gesamtfläche ausmacht und neben den 8 % Siedlungsfläche auch noch 73 % sonstige Fläche zur Verfügung steht, die biodiverser gestaltet werden könnte, hat er ja nicht völlig unrecht. Wir erfahren zudem, dass sehr viele Landwirte in unserem Blühflächenprojekt mitarbeiten wollen. Deshalb weigern wir uns, einen Konflikt zur Landwirtschaft heraufzubeschwören, der irgendwann dazu führt, dass man einander nicht mehr zuhört und sich gegenseitig nur beschuldigt. Brückenbauer müssen als vertrauenswürdig, seriös und sachlich wahrgenommen werden. Einem Brückenbauer vertraut man im Vieraugengespräch vielleicht auch mal etwas an, das man in der Öffentlichkeit nie sagen würde. Es gilt die Devise: lieber heimlich mächtig als laut und ohnmächtig. Daran arbeiten wir, und wir sind erst am Anfang.

Im Juni hat der Nationalrat der Motion Hegglin zur Sicherung der Insektenbestäubung zugestimmt – am selben Tag hat die grosse Kammer die 3,5 % Biodiversitätsförderfläche auf Ackerflächen wieder abgeschafft. Sind die gebauten Brücken noch nicht stabil genug?

Solche Entscheide versteht man nicht, wenn man nicht weiss, wie der Politbetrieb in Bern funktioniert. Es ist ein Zusammenspiel von verschiedensten Interessen und das Ganze ist manchmal nicht weit weg von Schizophrenie. Die 3,5 % Biodiversitätsförderfläche wäre vielleicht zu halten gewesen, wenn man frühzeitiger und geschickt agiert hätte. Wir haben uns mehrfach und deutlich für diese Massnahmen ausgesprochen, wie übrigens auch IP-SUISSE und Bio Suisse. Dass die Ablehnung mehrheitsfähig wurde, kam ziemlich überraschend. Wegen des Ukrainekriegs ging es plötzlich um Ernährungssicherheit. Aber wir haben es zu spät kommen sehen. Nun gibt es keinen gesetzlichen Zwang, was aber nicht bedeutet, dass man nicht auch mit anderen Mitteln die Biodiversitätsförderfläche erhöhen kann. Die Zahl der Landwirte, welche freiwillig in die richtige Richtung gehen, nimmt ja zu. Das merken wir gerade bei unserem Blühflächenprojekt (Anmerkung der Redaktion: https://bienen.ch/bluehflaechen). Und auch der Rest der Bevölkerung kann einen Beitrag leisten und soll sensibilisiert werden. Gesetzliche Vorschriften sind so oder so nicht immer ein Allheilmittel.

Es werden gerade einige Motionen rund um das Thema Bienen und Bestäubung umgesetzt. BienenSchweiz begleitet diese Umsetzungen eng. Wie muss man sich das vorstellen?

Die Umsetzung begleiten wir auf Ebene apisuisse zusammen mit unseren welschen Kollegen. In der Person von Joëlle Quadri haben wir eine Teilzeitangestellte, welche Inhalt liefert und koordinierend tätig ist. Es gab bereits Anfang Juni eine erste Sitzung im Bundeshaus mit den beiden Co-Präsidien der parlamentarischen Gruppe Bienen, in welcher definiert wurde, wer mit wem Gespräche führt. Im September wird es eine weitere Besprechung geben. Unser Ziel ist es, mit den federführenden Personen in den Bundesämtern in einen Austausch zu kommen, damit die Motion auch so umgesetzt wird, wie wir möchten. Wahrscheinlich werden aber noch Kompromisse nötig sein.

Was sind dabei die grössten Herausforderungen?

Erstens sicher das Geld, denn die Umsetzung unserer Motion ist nicht gratis. Das Bundesbudget muss die Vorgaben der Schuldenbremse einhalten. Die Einnahmen decken nicht alle kostenverursachenden Ansprüche. Zweitens die Zeit: Wir haben begrenzte Ressourcen. All die Gespräche zu führen und die Grundlagenarbeit zu leisten, kostet Zeit. Es lastet viel auf wenigen Schultern.

Wie wichtig ist dabei die Zusammenarbeit mit dem Bauernverband?

Der Bauernverband spielt nicht bei jeder unserer Forderungen eine zentrale Rolle. Aber wir haben im Vorfeld die Unterstützung des Bauernverbandes sichergestellt und sind deshalb guten Mutes, dass er bei der Umsetzung der Motion positiv mitwirkt. Er ist nicht unser Gegner, sondern unser Partner. Auch in einer Partnerschaft muss man nicht immer gleicher Meinung sein.

Aktuell werden einige Motionen rund um das Thema Bienen und Bestäubung umgesetzt. Erfreulich ist auch das Interesse der
Landwirtinnen und Landwirte, die freiwillig im Rahmen unseres Blühflächenprojekts Biodiversitätsförderflächen anlegen (Foto: Sarah Grossenbacher).

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