Während die Zucht auf Resistenzmerkmale bei der Selektion von Bienen, die in der Lage sind, ohne Behandlung der Varroamilbe zu überleben, nur begrenzte Fortschritte zeigt, wird die natürliche Selektion manchmal als effektivere Lösung präsentiert. Inwiefern ist dies der Fall?
Fast vier Jahrzehnte nach der Ausbreitung der Varroamilbe in der Schweiz stehen den Imkerinnen und Imkern immer noch keine nachhaltigen Lösungen gegen diesen Parasiten zur Verfügung. Diese Situation ist in nahezu allen Regionen gleich, in denen Bienen europäischer Herkunft in der Imkerei eingesetzt werden. Die Implementierung eines Varroabekämpfungskonzepts, das unter anderem auf wiederholten Akarizid-Behandlungen zu bestimmten Zeitpunkten im Jahr beruht, ist weiterhin erforderlich. Die als nachhaltiger erachtete Alternative der Selektion von Resistenzmerkmalen gegen die Varroamilbe wurde rasch nach der weltweiten Ausbreitung des Parasiten erkundet, allerdings mit bislang eher durchwachsenen Ergebnissen.1 Der nur schleppende Fortschritt kann zumindest teilweise auf das geringe Wissen über die beteiligten Resistenzmechanismen zurückgeführt werden.
Dieses noch ausbaufähige Wissen ist jedoch keine Voraussetzung, wenn man der Natur ihren Lauf und sie von alleine die erforderlichen Merkmale selektieren lässt. Der Weg der natürlichen Selektion scheint also ein vielversprechender Ansatz zur Verbesserung des Überlebens von Bienenvölkern zu sein. Er hat in letzter Zeit die Aufmerksamkeit von Forschenden, Imkerinnen und Imkern sowie Personen geweckt, die an Projekten zur Erhaltung oder sogar Wiederansiedlung der Honigbiene in der Natur beteiligt sind. Dennoch fehlt häufig eine Bewertung der Wirksamkeit früherer und aktueller Ansätze zur Resistenzselektion durch natürliche Auslese oder diese ist lückenhaft. Wir haben eine Literaturübersicht zu diesem Thema erstellt, die kürzlich in der wissenschaftlichen ZeitschriftEvolutionary Applicationsveröffentlicht wurde. Diese Zeitschrift berichtet über Arbeiten, die Anwendungen vorstellen, welche auf evolutionären Prinzipien basieren. Nach einer Bestandsaufnahme der bestehenden Ansätze der natürlichen Selektion und der Diskussion ihrer Stärken und Schwächen bieten wir in unserem Artikel daher Lösungen an zur Überwindung der evolutionären, aber auch praktischen Schwierigkeiten beim Erreichen von Varroaresistenz. Diese Synthese dient in erster Linie konzeptionellen Überlegungen; die mögliche praktische Anwendung der Lösungsvorschläge kann jedoch nur unter Beachtung der bestehenden Tiergesundheitsvorschriften erfolgen und wird idealerweise von einem strengen wissenschaftlichen Monitoring begleitet, um die investierten Bemühungen zu optimieren.2
Bestehende Ansätze
Es wurden zwei Ansätze entwickelt, um durch natürliche Selektion Völker zu erhalten, die ohne Varroabehandlung überleben können: Der Import von Völkern aus Populationen, in denen sich eine Koevolution zwischen Wirt und Parasit ohne menschliches Zutun entwickeln konnte, und der Verzicht auf Varroabehandlungen in einer lokalen Population.
Die aus den Importen hervorgegangenen Populationen zeigten unterschiedliche Ergebnisse: Einige waren nicht in der Lage, ohne Behandlung in der neuen Umgebung zu überleben, andere wiesen a priori eine interessante Überlebensrate auf, ohne dass es möglich ist, festzustellen, ob diese mit genetischen Faktoren (Resistenz der Ursprungspopulationen) oder Umweltfaktoren (insbesondere implementierte Imkerpraxis und physische Umgebung der Völker) zusammenhängt. Im Allgemeinen haben alle bisher dokumentierten Importversuche einen eher unklaren Nutzen gezeigt, wobei sie mit einem hohen Risiko der Einschleppung von Krankheitserregern und unkontrollierten Hybridisierungen mit den im Einführungsgebiet vorhandenen Populationen verbunden sind. Importe stellen keine zuverlässige Lösung dar und müssten vermieden werden.
Der Ansatz, die Behandlung anfälliger lokaler Populationen zu stoppen, hat ebenfalls zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt: Einige Populationen konnten sich offenbar langfristig halten, während in anderen, darunter ein historisches Beispiel, Gotland in Schweden, die nach einigen Jahren beobachtete, auf den ersten Blick stabile Situation nicht über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten werden konnte.3,4 In anderen Fällen werden überlebende Populationen während des Selektionsprozesses ziemlich schweren Eingriffen unterzogen (z. B. Aufteilung in vier Schwärme jedes Jahr) und die Ergebnisse von Versuchen unter Imkerbedingungen aus der Praxis, in denen sie anders behandelt werden, wurden noch nicht veröffentlicht. Man könnte eine höhere Überlebensrate erwarten, wenn diese zumindest teilweise auf den Selektionsprozess zurückzuführen ist.
Wenn allein die Natur das Geschehen steuert, entspricht die Genetik aus diesen Programmen nicht unbedingt den Erwartungen der Imkerinnen und Imker (z. B. geringe Produktivität, aggressive Bienen, wie in den überlebenden Populationen von Gotland oder Avignon in Frankreich bemerkt wurde). Zudem ist die Genetik aus diesen Programmen nur selten auf dem Markt verfügbar, um die allgemeine Nachfrage nach varroaresistenten Völkern zu decken.
Stärken der bestehenden Ansätze
Wenn man die Auswahl der Völker, die überleben und Jahr für Jahr fortbestehen können, der Natur überlässt, erspart man sich die umfangreiche Arbeit der Bewertung und Auswahl der Merkmale, die in einem Selektionsprogramm beurteilt werden: Egal wie und warum ein Volk überlebt, es ist allein seine Überlebensfähigkeit, die darüber entscheidet, ob es in der Population verbleibt oder nicht. Dies ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil gegenüber der Selektion von Resistenzmerkmalen. Darüber hinaus ist es möglich, eine Vielzahl von Mechanismen, die zu dieser Resistenz führen, gleichzeitig zu selektieren, während die gängigen Resistenzselektionsprogramme mit ausgewählten Merkmalen nur einen oder eine kleine Anzahl von Mechanismen berücksichtigen, ohne dass bekannt ist, wie relevant diese für das erwartete Ergebnis sind. Wenn man der Natur ihren Lauf lässt, könnte man sogar bestimmte Merkmale fördern, für die die Bewertungsskala unzuverlässig ist oder für die es derzeit keine Skala gibt.5 Dies gilt insbesondere für potenzielle Varroa-Toleranzmechanismen der Bienen, die nicht wie die Resistenz zu einer Verringerung der Varroa-Befallsrate führen, sondern in denen die Milben die Völker weniger stark schädigen.
Schwächen
Dennoch gibt es auch zahlreiche negative Aspekte. Abgesehen von den ethischen und rechtlichen Aspekten, die damit verbunden sind, dass man eine grosse Anzahl von Völkern ohne Behandlung zur Identifizierung möglicher Überlebender zugrunde gehen lässt, schränken diese Punkte die Umsetzung solcher Ansätze stark ein. Auf organisatorischer Ebene ist es vor allem schwierig, ausreichend isolierte Bedingungen zu finden, um Jahr für Jahr eine solche Genetik zu selektieren, ohne dass diese ständig durch die Begattung mit den Drohnen der umliegenden, zahlreich vorhandenen Völker verdünnt wird. Ohne ausreichende Isolierung besteht auch das Risiko, dass durch Reinvasion grosse Mengen an Varroamilben von unbehandelten Völkern in umliegende, nicht am Programm teilnehmende Völker übertragen werden. Hinzu kommen die hohen wirtschaftlichen Kosten beim Verlust einer grossen Anzahl von Völkern.
In genetischer Hinsicht ist trotz der Beispiele natürlicher Populationen, die eine Resistenz gegen den Parasiten entwickelt haben, nicht sichergestellt, dass jede Population die Gene besitzt, die für das Überleben in Gegenwart des Parasiten und ohne Behandlung erforderlich sind. Der Ausgang von Programmen zur natürlichen Selektion ist daher ungewiss. Die Erfolgsaussichten hängen somit vom Vorhandensein günstiger Gene ab, das wiederum von der genetischen Vielfalt und damit in der Regel von der Grösse der Ausgangspopulationen abhängt. Eine Richtschnur ist, dass eine langfristig lebensfähige Population a priori in Betracht gezogen werden kann, wenn die Ausgangspopulation aus mehreren Dutzend oder gar Hunderten von Völkern besteht (je grösser die Population, desto besser). Eine Folge des Selektionsdrucks ist, dass die Anzahl der Völker in den ersten Jahren nach dem Behandlungsstopp rapide abnimmt. Dieser Rückgang kann die genetische Vielfalt in der Population und ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber den immer zahlreicheren und intensiveren Stressfaktoren, denen die Population ausgesetzt sein wird, drastisch einschränken. Selbst bei einem sehr ähnlichen Stress wie durch eine Invasion einer anderen Varroa destructor-Linie als der aktuellen, gegen die ein Bienenbestand resistent geworden ist, wäre sein Überleben nicht mehr gesichert. Es gibt bereits Unterschiede in den Resistenzmechanismen zwischen den Bienenpopulationen gegenüber der aktuellen Varroamilbe. Es könnte also durchaus sein, dass die Mechanismen, die das Überleben eines Bienenbestands ermöglichen, spezifisch für die aktuelle Varroapopulation sind und gegen andere Parasiten nicht oder weniger wirksam wären.
Ein Rückgang der Populationsgrösse während der Selektion kann auch die Chancen für die Entwicklung von Überlebensmerkmalen einschränken. Ein günstiges Gen kann verloren gehen, wenn die wenigen Völker, die es tragen, zufällig aus anderen Gründen als dem Varroabefall sterben. Dieses Phänomen wird als Gendrift bezeichnet.
Genetische Effekte können auch aufseiten des Parasiten auftreten. Während des Selektionsprozesses kann die Varroamilbe leicht durch Bienen verbreitet werden, die im Herbst kollabierende Völker rauben, was den virulentesten Milben einen selektiven Vorteil verschafft. Daher, dass sie ihr Wirtsvolk töten, können sie durch Räuberei in benachbarte Bienenvölker transportiert werden. Auf diese Weise besteht die Gefahr, dass die Selektion virulenterer Varroamilben über unbehandelte Bienenvölker gefördert wird. Dieses Risiko wird oft nicht in Betracht gezogen. Sehr stark parasitierte Völker begünstigen zudem den mehrfachen Befall der Zellen mit Varroamilben, was die Rekombination von genetischem Material bei Varroanachkommen aus verschiedenen «Klonfamilien» ermöglicht. Die genetische Variabilität, die ihnen durch diese Rekombinationen gegeben wird, fördert die Anpassung. Die Varroamilbe kann ihrerseits auf die Selektion «reagieren», indem sie – ebenfalls durch natürliche Selektion – Fähigkeiten entwickelt, die es ihr ermöglichen, den Abwehrmechanismen ihres Wirts entgegenzuwirken. Folglich ist das Überleben der Population, selbst wenn sie sich einige Jahre lang halten kann, langfristig nicht garantiert.
Darüber hinaus ist es im Falle eines scheinbaren Erfolgs nicht sicher, dass das beobachtete Überleben der Völker genetisch bedingt ist und somit an die Nachkommen weitergegeben werden kann. Dieses Überleben kann durch günstige Bedingungen der lokalen Umwelt oder der Führung der Bienenvölker ermöglicht werden und könnte daher je nach Jahr, Standort, Imkerin oder Imker reversibel sein.
Aussichten auf Fortschritte
Um zukünftige Fortschritte bei solchen Ansätzen der naturgesteuerten Selektion zu ermöglichen, schlagen wir verschiedene Lösungen für die ermittelten Probleme vor. Beispielsweise könnten die Kosten, die durch den Verlust gefährdeter Völker entstehen, begrenzt werden, indem nur ein Teil der Population einem Behandlungsstopp unterzogen wird. Der andere Teil würde als Reserve an genetischem Material dienen, das als Reservebestand dienen könnte. Dadurch würde die Erhaltung der ursprünglichen genetischen Vielfalt sichergestellt. Diese könnte sich als nützlich erweisen, um die Resilienz der Population zu gewährleisten. Die Völker sollten auch regelmässig kontrolliert werden, um kollapsgefährdete Völker vorab zu identifizieren und dann zu behandeln, um sie dann lebend aus dem Programm zu nehmen. Hierfür ist die lokale Bestimmung von Prädiktoren zur Identifizierung von Völkern, die je nachdem zusammenbrechen oder überleben können, von Bedeutung. Die Entfernung dieser kollabierenden Völker würde auch dazu beitragen, den möglichen Schaden an benachbarten Völkern durch Varroa-Reinvasion, Selektion virulenter Varroamilben und die Übertragung anderer Krankheitserreger zu begrenzen. Die genetische Vielfalt der Population, deren Grösse durch Selektion abgenommen hat, könnte durch die regelmässige Zugabe einiger Völker der lokalen Reservevölker oder resistenter Völker anderer Herkunft verbessert werden. Dies könnte aber gleichzeitig mit den möglichen Nachteilen einhergehen (Verdünnung der Überlebensmerkmale, Einschleppung von Krankheitserregern, Verschlechterung der Anpassung an die lokale Umwelt, Hybridisierung der lokalen Bienen). Schliesslich könnte eine weiträumige Verteilung der Völker im Bienenstand den Milbenfluss zwischen den Völkern bremsen und das Überleben der Völker verbessern.
Obwohl es derzeit kein Patentrezept gibt, um aus einer anfälligen Population eine überlebensfähige und resistente Population zu erhalten, schlagen wir hier einen theoretischen Rahmen für die Umsetzung neuer Projekte vor (Grafik 1). Dieser bietet einen konzeptionellen Leitfaden für zukünftige Zuchtansätze, deren Fortschritte verfolgt und veröffentlicht werden sollten. So können möglichst viele Interessierte von den positiven wie negativen Erkenntnissen profitieren.

Fazit
Der Natur ihren Lauf zu lassen, bringt nicht unbedingt nur Vorteile mit sich!
In der Bienenzucht hat die Anwendung der natürlichen Selektion, um bei europäischen Bienen trotz Varroabefall ein Überleben ohne Behandlung zu erreichen, bisher nicht zu der erhofften Lösung geführt. Die Erfolge sind ungewiss, der Weg zu diesem Ziel ist steinig und alles andere als einfach, selbst wenn die Natur die meiste Arbeit leistet. Das aktuelle Ergebnis unterscheidet sich daher nicht wesentlich von dem, was die Selektion von Resistenzmerkmalen gebracht hat. Die Einführung neuer Selektionsprogramme, die die natürliche Selektion einbeziehen, muss damit einhergehen, dass die Schwächen eines solchen Ansatzes (Grafik 2 unten) berücksichtigt werden. So können bessere Ergebnisse erzielt werden, indem die negativen Auswirkungen aufgrund von Völkerverlusten und der Unvorhersehbarkeit des Erfolgs einer überlebenden Population oder ihrer Eignungen für die Imkerei verringert werden. In der Schweiz und auf internationaler Ebene wird versucht, die Bedingungen für einen Behandlungsstopp bei gleichzeitiger Sicherung des Überlebens der Völker zu bestimmen. Solange diese Bedingungen nicht geklärt sind – ohne Garantie, dass sie eines Tages unter allen Gegebenheiten geklärt sein werden – raten wir Imkerinnen und Imkern dringend davon ab, auf Behandlungen gegen die Varroamilbe zu verzichten. Angesichts der hohen lokalen Dichte an Völkern in der Schweiz ist die Wahrscheinlichkeit, überlebende Populationen zu erreichen, wahrscheinlich noch geringer als anderswo, während das Risiko von unerwünschten Wirkungen sehr hoch ist. Als Verantwortliche für die Gesundheit ihrer Völker können Imkerinnen und Imker das Auftreten von Varroatosesymptomen so weit wie möglich einschränken, indem sie die geltenden Gesundheitsempfehlungen befolgen. Die Behandlungen schränken zwar die natürliche Selektion ein, ermöglichen es aber, angesichts der zahlreichen anderen Herausforderungen, mit denen die Völker konfrontiert sind, das Überleben der Völker und die Honigernte zu optimieren6 sowie die genetische Vielfalt der Populationen zu erhalten.

Literatur
- Guichard, M.; Dietemann, V.; Neuditschko, M.; Dainat B. (2020) Advances and perspectives in selecting resistance traits against the parasitic mite Varroa destructor in honey bees. Genetics Selection Evolution 52(71): 1–22. (https://doi.org/10.1186/s12711-020-00591-1).
- Guichard, M.; Dainat, B.; Dietemann, V. (2023) Prospects, challenges and perspectives in harnessing natural selection to solve the «varroa problem» of honey bees. Evolutionary Applications (https://doi.org/10.1111/eva.13533).
- Baudendistel, R. (2019) Varroaresistente Bienen? Ein Besuch auf Gotland. Schweizerische Bienen-Zeitung 12: 27–29.
- Dietemann, V.; Locke, B. (2019) Das Gotland-Projekt aus wissenschaftlicher Sicht. Schweizerische Bienen-Zeitung 12: 29.
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