Parthenogenese – eine Besonderheit in der Fortpflanzung

02/25 | Wissenschaft und Praxis
Hans-Ulrich Thomas, Zürich (hthomas@swissonline.ch)

Unter dem Begriff Parthenogenese versteht man die Entstehung von Nachkommen ohne eine vorhergehende Befruchtung der Eizelle. Bei den Bienen entstehen auf diese Weise die Drohnen. Genau genommen haben Drohnen also keinen Vater, sondern lediglich einen Grossvater.

Die Vorstellung, dass ein weibliches Tier ohne Kontakt zu einem Männchen Nachkommen gebären kann, wurde lange Zeit angezweifelt und auch vehement abgelehnt. Die Parthenogenese widersprach den religiösen Überzeugungen und dem Wissen der damaligen Zeit. Doch 1834 beobachtete Johann Dzierzon, ein katholischer Pfarrer aus Carlsbad in Schlesien, eindeutig diesen grundlegenden biologischen Vorgang bei den Bienen.

Foto: A. Steinmann Der Bienenforscher Johann Dzierzon fotografiert von A. Steinmann um 1901. Das Porträt erschien als Frontispiz in der Schriftenreihe der Vereinigung für oberschlesische Heimatkunde, Oppeln, 1932, Heft 4. Die Aufschrift auf der Schleife «43. Wander-Versammlung» verweist auf das Treffen deutscher, österreichischer und ungarischer Bienenwirte 1898 in Salzburg. Dort veröffentlichte Dzierzon in der Bienen-Zeitung (Bd. 54, S. 299–302) seine «Widerlegung der jüngst gegen meine Theorie der Fortpflanzung der Bienen erhobenen Einwände».
Der Bienenforscher Johann Dzierzon fotografiert von A. Steinmann um 1901. Das Porträt erschien als Frontispiz in der Schriftenreihe der Vereinigung für oberschlesische Heimatkunde, Oppeln, 1932, Heft 4. Die Aufschrift auf der Schleife «43. Wander-Versammlung» verweist auf das Treffen deutscher, österreichischer und ungarischer Bienenwirte 1898 in Salzburg. Dort veröffentlichte Dzierzon in der Bienen-Zeitung (Bd. 54, S. 299–302) seine «Widerlegung der jüngst gegen meine Theorie der Fortpflanzung der Bienen erhobenen Einwände». (Foto: A. Steinmann)

Erkenntnisse dank verstellbaren Waben

Johann Dzierzon wurde 1811 in Lowkowice, im heutigen Polen, geboren. Bereits im Alter von 14 Jahren erhielt er von seinem Vater sein erstes Bienenvolk und widmete sich fortan intensiv dem Leben der Bienen, sowohl durch Lesen als auch durch praktische Bienenhaltung. Um das Leben innerhalb des Bienenvolkes studieren zu können, benötigte er einen Bienenkasten mit verstellbaren Waben anstelle der damals üblichen Strohkörbe mit fest verankertem Wabenbau. Seine praktische Umsetzung bestand aus einer Holzkiste, in die er seitlich Nuten einsägte, um darin Trägerleisten für den Wabenbau einschieben zu können. Damit schuf er die Urform unseres heutigen Schweizer Hinterbehandlungskastens. Erstmals war es nun möglich, Wabe um Wabe zu entfernen, und so das Leben und Treiben des Bienenvolkes im Detail zu beobachten. Dass er dazu mit einem Messer die an die Kastenwand angebauten Waben abtrennen musste, störte ihn zeitlebens nicht.

Im Jahr 1835 vereinigte er zwei kleine Schwärme in einem solchen Kasten und beobachtete, was geschah. Eine Königin lag nach einem Tag tot auf dem Boden, die zweite hatte stark beschädigte Flügel und konnte nicht fliegen. Dennoch begann sie, Eier zu legen, die sich allesamt zu Drohnen entwickelten. Dzierzon erkannte die Bedeutung seiner Beobachtungen und setzte aus Wissbegierde und für die Glaubwürdigkeit seine Untersuchungen jahrelang fort. Erst 1845 veröffentlichte er seine bis heute gültige Fortpflanzungstheorie:

  • Auf dem Begattungsflug wird die Samenblase einmalig gefüllt.
  • Die Königin kann bei der Eiablage entscheiden, ob das Ei befruchtet wird oder nicht.
  • Aus befruchteten Eiern entwickeln sich weibliche Tiere, also Königinnen und Arbeiterinnen, während unbefruchtete Eier zu Drohnen werden.

Mit dieser Erkenntnis klärten sich viele Fragen, beispielsweise, wie die Königin früh im Jahr Eier legen konnte, ohne dass Drohnen vorhanden waren.

Die Professoren C. T. Siebold und R. Leukart bestätigten durch Sezieren und mikroskopische Untersuchungen von Königinnen und Eiern diesen Sachverhalt auch aus wissenschaftlicher Sicht und veröffentlichten die eindeutigen Ergebnisse 1856 in Fachzeitschriften.

Johann Dzierzon auf einem Bienenstand in Lowkowice, 1901. Foto: Wikimedia Commons
Johann Dzierzon auf einem Bienenstand in Lowkowice, 1901. Foto: Wikimedia Commons

Sichtbare Erkenntnisse

Doch auch ohne Mikroskop und wissenschaftliche Unterstützung war das Resultat der Parthenogenese im wahrsten Sinne des Wortes «mit den Augen zu sehen». Die Zucht der gelben Italienischen Biene (Apis mellifera ligustica) war zu jener Zeit sehr populär, und das Auftreten von Zuchthybriden mit den lokalen Dunklen Deutschen Bienen (Apis mellifera mellifera) liess sich nicht übersehen. Im Sprachstil der Zeit wurde die Erklärung von Dzierzon so formuliert: «Alle Königinnen, die äusserlich schön gelb sind, erzeugen, auch wenn sie teils italische, teils deutsche Arbeiterinnen hervorbringen, nur italische Drohnen. Eine deutsche Mutter, die von italischen Drohnen befruchtet war, erzeugte deutsche und italische Arbeiterinnen, aber nur deutsche Drohnen.»

Dzierzon erhielt im Laufe der Zeit viele Auszeichnungen für die Entdeckung der Parthenogenese bei den Bienen und wurde im Jahr 1872 sogar mit der Ehrendoktorwürde der Universität München ausgezeichnet. Als Redaktor einer Bienenzeitschrift veröffentlichte er zahlreiche Artikel über Fragen der Imkerei und war auch an den «Wanderversammlungen deutschsprachiger Imker» stets mit Vorträgen präsent.

Obwohl die Frage der Geschlechtsbestimmung im Bienenvolk eigentlich geklärt war, musste er noch viele Jahre lang Kritik an seiner Entdeckung der Parthenogenese einstecken. So beispielsweise noch 1898 in Salzburg, als der Imker Ferdinand Dickel eine eigene Studie mit dem Titel «Das Prinzip der Geschlechtsbildung; auf Grundlage meiner Bienenforschungen» vorlegte – und dafür grossen Applaus erntete. Dies war eine peinliche Situation für Dzierzon, der vergeblich versuchte, die Untersuchungen und Befunde von Dickel zu widerlegen.

Drohnenbrut: Ergebnis der Parthenogenese bei Honigbienen. Drohnen entwickeln sich aus unbefruchteten Eiern: ein natürlicher Beweis für die Theorie der ungeschlechtlichen Fortpflanzung. Foto: Sarah Grossenbacher
Drohnenbrut: Ergebnis der Parthenogenese bei Honigbienen. Drohnen entwickeln sich aus unbefruchteten Eiern: ein natürlicher Beweis für die Theorie der ungeschlechtlichen Fortpflanzung. (Foto: Sarah Grossenbacher)

Ferdinand Dickel und seine Theorie

Ferdinand Dickel behauptete, dass alle Bieneneier befruchtet seien und die Geschlechtsbestimmung durch unterschiedliche Fütterung der Bienenlarven durch die Arbeiterinnen festgelegt werde. Eigene Untersuchungen, die Befunde anderer Imker sowie auch Wissenschafter führten ihn zu dieser Erkenntnis. Erstaunlicherweise erhielt er auch Zuspruch von Prof. August Weismann, einem renommierten Zoologen der Universität Freiburg. Dieser schrieb ihm: «… Nach den Versuchen, die Sie mir mitteilten, scheint mir fast gewiss, dass die Königin auch die Drohnen-Eier befruchtet. … Zum definitiven Beweis würde ich gern behülflich sein.»

Prof. Weismann war also an einer endgültigen Klärung der Parthenogenese im Bienenvolk sehr interessiert und konnte einen Studenten für Laborversuche freistellen.

Nach drei Jahren waren die Ergebnisse jedoch eindeutig, und Weismann erkannte seinen Irrtum. 1898 schrieb er an Dickel: «… dass Drohnen-Eier nicht befruchtet werden.»

Damit wurden nach jahrelangen Untersuchungen und Diskussionen die ursprünglichen Ergebnisse von Dzierzon über die Parthenogenese der Drohnen endgültig von der Wissenschaft akzeptiert. Johann Dzierzon starb am 26. Oktober 1906 und nahm am Ende seines Lebens bestimmt mit grosser Genugtuung von der endgültigen Bestätigung seiner fundamentalen Entdeckung Kenntnis.

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