Wespen – verkannte Nützlinge

10/24 | Natur und Wildbienen
Agnes Przewozny, Berlin (Deutschland) (gruenes.lektorat@posteo.de)

Wespen stehen Bienen in ihrer ökologischen Bedeutung in nichts nach, doch haben sie es schwer, ihren schlechten Ruf loszuwerden. Eine britische Forscherin hat zusammengetragen, warum wir Wespen mehr schätzen und schützen sollten.

Wespen werden ihren schlechten Ruf einfach nicht los und der macht auch bei Wissenschaftlern nicht halt. «Auf jede Studie über die Ökosystemleistungen von Wespen kommen vierzig über Bienen. Mit der Wespenforschung sind wir hundert Jahre hinter den Bienen», sagt Seirian Sumner, Professorin für Verhaltensökologie am University College London. Dabei sind es hierzulande im Prinzip drei Arten aus der Familie der Faltenwespen (Vespidae), die den Ruf der Wespen bestimmen: die Gemeine und die Deutsche Wespe (Vespula vulgaris und V. germanica) sowie die Hornisse (Vespa crabro), um die sich hartnäckig Gefahrenmythen ranken. Also drei von 4000 Faltenwespenarten! Diese Wespen gehören zu den Stechimmen (Aculeata), einer Untergruppe der Hautflügler (Hymenoptera) mit weltweit etwa 60 000 bekannten Arten, zu denen neben den Wespen auch die Bienen und Ameisen gehören. Rund tausend Arten bilden Staaten. Durch die intensive Landwirtschaft, den Verlust von Lebensräumen und den Klimawandel stehen Wespen unter ähnlichem Druck wie Bienen und brauchen dringend Schutz.

Seirian Sumner setzt sich mit Leidenschaft für die Wespen ein. In einer grossen Überblicksstudie hat sie zusammen mit Ryan Brock und Alessandro Cini das verstreute Wissen über die sogenannten Ökosystemleistungen von Wespen weltweit zusammengetragen. Mit Herz erzählt sie aber in ihrem Buch «Wespen – eine Versöhnung» von den wundersamen Gesellschaften, die vielleicht ebenso für unseren gedeckten Tisch sorgen wie Bienen.

Anders als Bienen haben Wespen in der Natur nicht nur die Aufgabe der Bestäubung, sondern sie räumen auf und halten andere Insekten und Gliederfüsser in Schach. Wespen sind wichtige Jäger, sie ernähren ihren Nachwuchs mit Käfern, Spinnen, Kakerlaken, Läusen, Bremsen, Mücken, Fliegen usw., viele davon pflanzenfressende Schädlinge. Wahrscheinlich sind sie dadurch ökologisch ähnlich wichtig wie insektenjagende Vögel, Amphibien und Kleinsäuger. Im Vergleich zu diesen leben Wespen nur sehr kurz, vermehren sich dafür schnell und können sich dadurch rasch an die Bestandsentwicklungen ihrer Beutetiere anpassen.

Die Wespenforscherin Seirian Sumner (Foto: Justin Griffiths-Williams)

Aasvertilger und Bestäuber

Die allermeisten Wespen (Vespoidea) leben solitär, nämlich 97 Prozent der Arten. Fast alle dieser Solitärwespen ernähren sich räuberisch oder parasitisch von Insekten oder Spinnentieren. Die weiblichen Wespen fangen ihre Beute mit den Mundwerkzeugen, betäuben und konservieren sie mit einem Stich und tragen sie in ihr Nest, wo sie ein Ei darauf legen. Wenn die Larve schlüpft, ernährt sie sich von der betäubten Beute. Solitärwespen sind oft spezialisiert auf eine bestimmte Beute. Wegwespen (Pompilidae) jagen beispielsweise nur Spinnen, während Lehmwespen (Delta unguiculatum), auf Schmetterlinge geeicht sind. Gerade Solitärwespen sind dadurch für die Balance von Ökosystemen wichtig. Man schätzt, dass eine Larve etwa so viel Beutetiere frisst, wie sie selbst am Ende ihrer Entwicklung wiegt.

Soziale Wespen hingegen sind Generalisten und fangen, was ihnen gerade in den Weg kommt. Auch sie versorgen damit ihre Brut. Die Larven wachsen in offenen Zellen heran und werden laufend mit frischer Beute versorgt. Auch Aas und Grillwürste werden dabei nicht verschmäht. Die ausgewachsenen Wespen ernähren sich jedoch von Kohlenhydraten, also Zucker, weshalb einige Arten sich gerne an reifem Obst gütlich tun. Dies ist vor allem gegen den Herbst zu beobachten, wenn die Wespenstaaten gross geworden sind und viele reife Früchte vorhanden sind. Einen Grossteil des Jahres werden die erwachsenen Wespen von ihrer Brut gefüttert, die den Alten im Tausch gegen die vorgekauten Beutetiere eine Zuckerlösung abgeben. Nur wenn es wenige Larven gibt, also im Frühjahr und Sommer, sieht man soziale Wespen an Blüten Nektar trinken. Solitärwespen hingegen sind immer auf Blüten angewiesen.

Obwohl soziale Wespen nur drei Prozent der Wespenarten im engeren Sinn (Faltenwespen) ausmachen, haben sie einen bedeutenden ökologischen Einfluss, da sie grosse Kolonien mit Hunderten oder Tausenden Arbeiterinnen und Brut bilden. Im Laufe einer Saison bringt ein Nest der Gemeinen Wespe durchschnittlich 9601 erwachsene Wespen hervor, davon 7274 Arbeiterinnen, 1438 Männchen und 889 Königinnen. Bei einem Verhältnis von 1:1 zwischen Larven- und Beutemasse und einem durchschnittlichen Gewicht von 23 mg je Arbeiterin, 163 je Königin und 85 mg je Männchen braucht ein einziges Nest also rund 430 Gramm Beutetiere je Saison. Häufig kursierende Angaben von bis zu zwei Kilogramm täglich sind hingegen leider völlig unrealistisch.

Wie wirksam Wespen als Bestäuber sind, ist nur wenig erforscht. Einige südamerikanische Orchideenarten sind ganz auf Wespen angewiesen. Oft täuschen sie durch Mimikry und Pheromone eine weibliche Wespe vor, um die Nektarsammler anzulocken und für den Pollentransport anzustellen. Die allermeisten Beziehungen zwischen Wespen und Pflanzen sind jedoch unspezifisch. Da Wespen nur kurze Mundwerkzeuge haben, bevorzugen sie Pflanzen mit leicht erreichbarem Nektar, also zum Beispiel Doldengewächse wie Fenchel oder Kerbel, aber auch Thymian oder Efeu. Zwar haben Wespen keine speziellen Sammelstrukturen am Körper, in ihrem schütteren Haarkleid haftet aber immer noch genügend Pollen, um sie zu bedeutsamen Bestäubern zu machen. Staatenbildende Faltenwespen (Vespidae), zu denen auch die Deutsche und die Gemeine Wespe sowie die Hornisse zählen, sind hier die wichtigsten Arten. Da sie keine Vorliebe für bestimmte Pflanzen haben, können soziale Wespen in geschädigten oder fragmentierten Lebensräumen häufiger vorkommen als spezialisierte Bienenarten und somit eine wichtige Rolle als «Ersatzbestäuber» spielen. Aus wirtschaftlicher Sicht sind Wespen auch als Bestäuber für einige Kulturpflanzen bedeutsam. Für Senf, Äpfel und Kürbisse sind sie genau so wichtig wie Hummeln. Wie hoch der Geldwert der Bestäubung durch Wespen ist, hat bisher aber noch niemand errechnet.

Efeu ist im Spätsommer eine gute Nektarquelle für Wespen (Foto: Seirian Sumner)
Solitäre Töpferwespen (Eumenes coarctatus) sammeln Lehm für den Nestbau (Foto: Seirian Sumner)

Wein und Medizin

Darüber hinaus könnten Wespen aber auch als nahrhafte Alternative zu Fleisch für den Menschen nützlich sein. Für mindestens zwei Milliarden Menschen gehören Insekten zur Ernährung, vor allem Käfer, Falter und Hautflügler. Wespen spielen dabei keine sehr grosse Rolle, aber immerhin werden rund hundert Wespenarten in 19 Ländern verzehrt. Wespenlarven sind proteinreich und fettarm, sie enthalten etwa 70 Prozent der essenziellen Aminosäuren. Meist werden die Larven oder Puppen staatenbildender Arten gegessen. In Japan werden die Wespennester im Herbst geerntet und teuer gehandelt. Dort ist die Nachfrage oft so gross, dass Nester aus China, Neuseeland und Korea importiert werden. Auch in Ostasien, Afrika und Südamerika sind Wespen ein beliebter Imbiss.

Zur menschlichen Ernährung tragen Wespen aber noch auf ganz andere Weise bei. Wespen und Hornissen nagen die süssen Weintrauben aus und können hier schon mal Schaden anrichten. Andererseits tragen soziale Wespen zum Überleben und zur Verbreitung der Weinhefe Saccharomyces cerevisiae bei – und ohne Hefe kein Wein. Im Darm der Wespen finden die Hefezellen geeignete Bedingungen für die Vermehrung und überwintern zudem in Königinnen von Hornissen (Vespa crabro) und Haus-Feldwespen (Polistes dominula). Die Hefe gelangt durch Futteraustausch zwischen Arbeiterinnen zu den zukünftigen Königinnen und wird schliesslich in den Weinbergen verteilt.

Ihren schlechten Ruf verdanken Wespen vor allem ihrer Stechlust, doch gerade ihr Gift könnte für viele heilende Zwecke eingesetzt werden. Wespen setzen ihren Stachel zur Selbstverteidigung und zum Beutefang ein – parasitische Arten auch zur Manipulation ihrer Wirtstiere. Viele Moleküle dieser komplexen Wespengifte sind pharmakologisch interessant, vor allem für die Behandlung von Krebs. Seit Langem bekannt sind auch die antibiotischen Eigenschaften von Wespengiften und Larvensekreten. Bei Solitärwespen dienen diese Antibiotika zur Konservierung der gelähmten Beute, von der sich die Larven über längere Zeit ernähren. Soziale Wespen bekämpfen Krankheitserreger im Volk mit Sub­stanzen im Gift und in den Larvensekreten, mit denen die Arbeiterinnen sich selbst, die Brut und das Nest überziehen. Viele dieser antimikrobiellen Stoffe können für die menschliche Gesundheit von direktem Nutzen sein.

Alarmierender Rückgang

In Deutschland zählt die Rote Liste 562 Wespenarten, von denen 255, also 46 Prozent, gefährdet sind. Von Wespenplage kann also nicht die Rede sein, zumal sogar die relativ häufigen Arten längst nicht mehr so zahlreich auf dem Bäckerkuchen sitzen wie ehedem. Besonders Biotopspezialisten und andere anspruchsvolle Arten sind rückläufig. Ganze 36 Arten waren 2010 bereits ausgestorben oder verschollen und weitere 35 Arten waren akut vom Aussterben bedroht. Vor 14 Jahren! In Deutschland stehen alle heimischen Wespenarten unter allgemeinem Naturschutz und dürfen also nicht mutwillig beunruhigt oder ohne vernünftigen Grund gefangen, verletzt oder getötet werden. Besonders geschützt sind die Kreiselwespen der Gattung Bembix sowie die Hornisse (Vespa crabro). Für die Schweiz fehlt bisher eine Rote Liste der Wespen. Als Hauptgefährdungsursachen zählt die Rote Liste den Verlust geeigneter Lebensräume, vor allem durch Bebauung und Nutzungsänderungen in der Land- und Forstwirtschaft. Wärmeliebende Wespenarten sind demnach oft abhängig von Magerrasen, lichten Flussauen, historischen Weinbergen sowie Binnen- und Küstendünen – Lebensräumen, die immer seltener werden. Andere Wespenarten verschwinden zusammen mit Feuchtgebieten und durch den Mangel an Nistmöglichkeiten in Laubwäldern. Inwieweit Pestizide zum Artenrückgang von Wespen beitragen, ist bisher kaum dokumentiert.

Wie Bienen und all die anderen unscheinbaren Wesen sind Wespen unersetzlich in den Ökosystemen. Wespen brauchen Schutz und verdienen – auch ohne niedliches Fell – sogar Zuneigung. Seirian Sumner beschreibt in ihrem kürzlich in deutscher Übersetzung erschienenen Buch «Wespen – eine Versöhnung» sehr unterhaltsam und kenntnisreich die riesige Vielfalt der Wespenarten, ihre Schönheit und beeindruckenden Fähigkeiten. Sie werden staunen.

Nur die jungen Wespenköniginnen überwintern und gründen im Frühling neue Nester, hier die Gemeine Wespe (Vespula vulgaris). (Foto: Seirian Sumner)
Hornissen (Vespa crabro) sind meist sehr friedlich (Foto: Patrick Kennedy)

Literatur und Links

  1. Brock, R. E.; Cini, A.; Sumner, S. (2021) Ecosystem services provided by aculeate wasps. Biological Reviews 96: 1645–1675. (https://doi.org/10.1111/brv.12719).
  2. Sumner, S. (2023) Wespen. Eine Versöhnung. Aus dem Englischen von Andrea Schmittmann. Harper Collins, Hamburg. 432 pp.
  3. Alles über Arten und Lebensweise heimischer sozialer Faltenwespen (https://aktion-wespenschutz.de/Wespenarten/WespenIndex.htm)
  4. NABU-Expertin Melanie von Orlow zur Umsiedlung von Wespennestern (https://www.youtube.com/watch?v=vlJ9lpT5yMk).
  5. Sumner, S. (2021) Why the world should be harnessing the predatory power of wasps. Linnean Society (https://www.youtube.com/watch?v=vMacsp4jXA0).
In ihrem Buch erklärt Seirian Sumner, warum auch Wespen liebenswert sind.
In ihrem Buch erklärt Seirian Sumner, warum auch Wespen liebenswert sind.

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